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Ottokar Novacek

(1866-1900)

 

Ottokar Novacek ist der Bekannteste der Musikerfamilie Novacek, leider der einzige mit diesem Namen, der in Nachschlagewerken und Lexika zu finden ist. Am 13. Oktober 1866 in Weißkirchen als zweiter Sohn von Martin Novacek geboren, tritt er mit 10 Jahren vor dem Publikum auf, und bereits mit 12 Jahren versetzte er seine Zuhörer in Staunen mit der Wiedergabe des Konzertes in e-Moll für Violine und Orchester von Felix Mendelssohn Bartholdy. Seine Studien machte er in Wien bei Dont, in Leipzig bei Schradieck und beim berühmten Brodsky. Hier erhält er 1885 den Mendelssohn-Preis.

Mit 14 ist er Violinspieler des berühmten Gewandhaus-Orchesters in Leipzig und wird zuerst als zweiter Violinist, danach als Bratschenspieler im berühmten Brodsky-Quartett aufgenommen. 1891 wird er Mitglied des Bostoner Symphonieorchesters, das von Arthur Nikisch dirigiert wurde. In diesem Zeitraum wird er auch Busoni kennenlernen, der 1891-1894 in Amerika als Professor beim New England Conservatorium tätig war. Ottokar Novacek ging mittlerweile als erster Bratschespieler zum Damrosch-Orchester nach New York. Dort wird er seinen Professor Brodsky wiedertreffen und in sein Quartett eintreten.

Ottokar Novacek war ein Violin- und Violavirtuose und auch ein begabter Komponist. Er hat drei Quartette für Streichinstrumente (in e-Moll, Es-Dur und C-Dur), Bulgarische Tänze für Violine und Klavier, Acht Capricci für Violine und Klavier, Zwei Capricci für Klavier, die Suite in F-Dur für Violine und Klavier op.7, Sechs Lieder auf Verse von Tolstoi geschrieben. Zu seinen bedeutendsten Kompositionen zählen Perpetuum mobile (oder Moto perpetuo), ein Stück, das wir auch im Repertoire von George Enescu bei seiner ersten Aufführung in Temeswar finden, und ein Konzert für Klavier und Orchester, op. 8. Er starb 1900 in New York im Alter von nur 34 Jahren.

 

Um wenigstens einen Teil der Persönlichkeit des Musikers Ottokar Eugen Novacek zu verstehen, der in der Musikwelt fast unbekannt gewesen war, werden zum Schluss die Kommentare zweier Berliner Zeitungen vorgestellt, die nach der Erstaufführung seines Klavierkonzertes mit der Berliner Philharmonie, am 28. Oktober 1896, erschienen sind.

Aus den entgegengesetzten Kritiken für sein Konzert ist bemerkbar, dass, Trotz des ausgesprochenen Publikumserfolges, das Musikwerk für seine Zeit atypisch war. Da das Material verschwunden ist und niemand es spielen oder studieren konnte, bleiben uns nur diese Eindrücke nach der Erstaufführung. Man hätte nicht auf diese Partitur bestanden, wären nicht erstklassige Musiker wie der Klavierspieler Ferruccio Busoni als Solist und Arthur Nikisch als Dirigent und die berühmte Berliner Philharmonie – der Erstaufführungsort – involviert. Mehr noch, das Konzert sollte eine Huldigung an den unlängst verstorbenen Anton Bruckner sein. Also war das Werk Ottokar Novaceks nicht zufällig ins Programm geraten, sondern wurde gemäß des Momentes anerkannt. „Concerto eroico“ hieß es und aus den Reaktionen aller Kritiker, ob gut oder schlecht, konnte entnommen werden, dass es sich um eine sehr virtuose, bewegte und spannende Musik, mit strengen Akzenten, handelte. Die logische Schlussfolgerung ist, dass der 28 Jahre junge Komponist eine neue zukünftige, wahrscheinlich expressionistische Sprache, angewandt hat, welche nicht nur Anhänger sondern auch Gegner hatte.

Hier die Kritiken zweier Berliner Zeitungen:

 

 „Als Neuheit spielte Herr Ferruccio B. Busoni ein Klavierkonzert von Ottokar Novacek, einem jungen in Temesvar geborenen, gegenwärtig in Berlin lebenden Komponisten. Schön nach landläufigen Begriffen ist das Werk nicht, aber ein geistreiches Musikstück ist es jedenfalls. Eine Anzahl kleiner Motive bilden die thematischen Bausteine, aus denen das aus vier mit einander zusammenhängenden Abschnitten bestehende Konzert sich aufbaut. Ich finde die Motive an sich nicht bedeutend genug für den ungeheuren Aufwand von Ausdrucksmitteln. Mag sein, dass es möglich ist, den orchestralen Theil sorgfältiger zu schattiren und dadurch mehr Klarheit und eine erhöhte Wirkung zu schaffen; so wie das Werk zur Aufführung gelangte, bekundete es einen erschrecklichen, das Ohr peinigenden Mangel an ökonomischer Verheilung von Licht und Schatten. Das Tosen und Donnern des Klaviers neben dem sehr starken Orchester hält zu Anfang so lange an, daß das Tonempfinden des Zuhörers bereits abgestumpft ist, wenn endlich des Sturmes Gewalt sich gelegt hat. Nichtdestoweniger imponirt das Konzert durch seine kraftvolle Energie, seine harmonischen Paradoxe, und durch die unerhörte technische Aufgabe, die es dem Solisten darbietet... Herr Busoni hat mit der glänzenden Wiedergabe der Novität ein Heldenstück vollbracht, dem kaum etwas an die Seite zu stellen ist. Die Bravour, mit der er die Aufgabe bewältigte, die ausdauernde Kraft und dabei doch wieder, wo es erforderlich war, der wundervolle Farbenreichthum seines Anschlages, waren ebenso bewundernswerth, wie die souveräne Beherrschung des musikalischen Stoffes. Einen besseren Vertreter für die Solopartie seines Konzertes wird Herr Novacek im Leben nicht finden... Das Publikum spendete sowohl Herrn Nikisch wie Herrn Busoni sehr lebhaften Beifall.“

A.M.Z., Oktober 1896

 

Nicht Euret wegen, Pianist Busoni und Dirigent Nikisch, liess ich dem Agenten gestern 1 Mk. für ´nen Stehplatz im II. Phil. Agentur-Konzert zukommen. Nein, ich betrat die (künstlerisch) unreine Stätte um eines kürzlich verstorbenen Tondichters Willen, Anton Bruckner´s, aus dessen siebenter Sinfonie das Adagio, wie es im Programm hiess "(dem Andenken des Komponisten)", ausgeführt wurde. Also wieder ein Tonkünstler, der erst sterben musste, ehe die schäbige Musiktreibewelt sich ernstlich mit seinen Werken beschäftigt! Bravo, Herr "Direktor", dass Sie den paar Abonnenten für teures Entree den pietätvollen Einschub in´s Programm gewährt haben! Ist das nun die ganze Totenfeier für Bruckner gewesen, oder folgt noch eine umfangreichere? Ich würde mir an Ihrer Stelle auch diesmal ein solches Geschäft nicht entgehen lassen, das Sie schon so oft erprobt haben und das sich stets bewährt hat! Also machen Sie eine Bruckner-Totenfeier mit möglichst unpopulären Preisen! Wenn Sie sich aber keine gute Einnahme davon versprechen, dann allerdings lassen Sie es lieber bleiben!

Das langgesponnene Adagio des toten Meisters war melodiös und fesselnd. Würde es von einem der Modekomponisten herrühren, wie Rich. Strauss, Weingartner, Mascagni, d´Albert, oder gar Humperdinck: das Publikum würde ausser sich geraten sein vor Entzücken; denn so etwas kann es nämlich von diesen Genannten nicht zu hören bekommen!

Und hervor trat Herr Ferruccio Busoni und spielte (zum 1. Mal) ein „Concerto eroico“ (op.8) von O. Novacek. Wenn Du, verehrter Leser, einen grossen Kettenhund mit den Vorderpfoten auf die Klaviatur stellst und ihn dann von hinten durchpeitschest, hat der Zuhörer genau denselben Effekt, als wenn dies slavische Radaukonzert gespielt wird, das sämtliche Klavier-Treffübungen planlos aneinanderreiht. Wie konnte man diese Novität hervorzerren? Ist es gut bezahlt worden? Andernfalls wär´s unbegreiflich!“

N.B.M.Z., Oktober 1896

 

Wenn die Partitur wertlos gewesen wäre, hätten Busoni, Nikisch und die Berliner Philharmonie mit Sicherheit damit keine Zeit verloren und hätten sich damit nicht bloßgestellt. Der lebhafte Beifall des Publikums, eine unzweifelhafte Realität, bezeugt das Gegenteil.

 

 

Ioan Tomi: Die Musikerfamilie Novacek. Neue Erkenntnisse zur musikalischen Tätigkeit der Familie des Temeswarer Domkapellmeisters

Erschienen in:

Franz Metz (Hrsg.): Die Kirchenmusik in Südosteuropa, Verlag Hans Schneider, Tutzing 2003

 

Copyright © Dr. Franz Metz, München 2007

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