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E D I T I O N   M U S I K   S Ü D O S T

Mit dem neuen Gesangbuch zu den Donauschwaben

Eindrücke nach einer Vortragsreise durch Ungarn, Serbien und Rumänien im Jahre 2012

Es war eine Reise nach Hause, im weiten Sinn des Wortes, zu den in Ungarn, Serbien und Rumänien lebenden Donauschwaben. Ich möchte dabei die Präzisierung „noch lebenden…“ bewusst vermeiden, da diese in unserer Zeit nicht mehr den sozialpolitischen Aspekten Südosteuropas entspricht. Die Auswanderungswelle ist ebenso seit fast 20 Jahren vorbei wie auch die Diskussionen um Bleiben oder Gehen. Die europäische Entwicklung hat seit einiger Zeit nicht nur das Banat erreicht, sondern auch Serbien und den Rest des Südostens. Wer heute die vor wenigen Jahren noch verhassten Grenzen zwischen Ungarn, Serbien und Rumänien passiert, entdeckt, trotz der vielen sichtbaren und unsichtbaren Problemen, junge Menschen, die bereits Europa besser kennen als so manche unserer Landsleute. Vielleicht könnte man auch sagen: das Leben geht hier weiter, mit oder ohne uns. Ob in Ungarn, in Serbien oder im rumänischen Banat, die Spuren unserer donauschwäbischen Geschichte sind auch im Jahre 2012 auf Schritt und Tritt erkennbar, wenn auch der verspätete Winter mit dem vielen Schnee die Tiefebene zwischen dem heute serbischen Neusatz und rumänischen Temeswar zu verstecken scheint.

 

Bei den Ungarndeutschen

 

Das neue Katholische Gesangbuch der Donauschwaben, das 2011 durch das Gerhardsforum Banater Schwaben e.V. veröffentlicht wurde, hat in den wenigen Monaten auch Einzug in die Kirchen der deutschen Minderheiten dieser Länder gefunden. Anlässlich des diesjährigen Treffens der verschiedenen Delegierten und Abordnungen der Selbstverwaltung der Ungarndeutschen, die aus allen Richtungen in den schwäbischen Ort Maan/Mány, vor den Toren Budapests gelegen, anreisten, ist die Präsentation dieses Gesangbuches auf großes Interesse gestoßen. Hier in Ungarn sind die ersten deutschen Gesangbücher nach der Wende von 1989 erschienen, damals noch unter der Federführung von Prälat Dr. Franz Galambos-Göller. Nur wenige Jahre später erschienen dann zwei weitere deutsche Gesangbücher, deren Lieder durch Kantor Franz Neubrand aus Sanktiwan zusammengetragen wurden. Die beiden ungarndeutschen Lehrer Michael Frühwirth und Franz Neubrand waren auch beim Zustandekommen des neuen katholischen Gesangbuches der Donauschwaben maßgeblich beteiligt. Und wer die katholische Dorfkirche in Maan besucht, bekommt sogleich einen tiefen Einblick in das, was man hier in diesem kleinen ehemals schwäbischen Dorf vor vielen Jahren an Kultur geleistet wurde. Die deutschen Inschriften in der Kirche und auf den Prozessionsfahnen, die alte (stumme) historische Orgel, die ganze barocke Ausstattung und nicht zuletzt das Kreuz davor mit der deutschen Inschrift, alles erinnert an längst vergangene Zeiten. Das Haus Leimen, in der Nähe der Dorfkirche, frisch renoviert, der Sitz der deutschen Kulturgruppen dieses Dorfes, ist gleichzeitig Austragungsort der Festlichkeiten und Tagungen, die das ganze Jahr hindurch regelmäßig stattfinden.

Besonders die Nachbarorte sind trächtige Kulturstätten, wie z.B. Schambek (ung. Zsámbék), dem Geburtsort des Kapellmeisters und Komponisten Josef Gungl (1809-1889), einem der wenigen ernstzunehmenden Konkurrenten von Johann Strauss Sohn. Dessen in deutscher und ungarischer Sprache verfasste Gedenktafel befindet sich auch heute noch neben der monumentalen Kirche mit der barocken Statue des Hl. Nepomuk, dem renovierten Kreuz aus dem Jahre 1873 und dem Bildstock (erneuert im Jahre 1911) mit der deutscher Inschrift: O heilige Maria bitt für uns arme Sünde und für die armen Seelen im Fegfeuer.

Nach dem Vortrag über das donauschwäbische Kirchenlied sangen alle Teilnehmer das deutsche Te Deum Großer Gott, wir loben dich. Spätestens hier konnte man feststellen, dass der Glaube über Grenzen hinweg und über ethnische Vorurteile noch lebendig geblieben ist. Franz Heilig, Vorsitzender des Verbandes Ungarndeutscher Chöre, Blaskapellen und Tanzgruppe, ist selbst in vielen Fällen bereits als Kantor eingesprungen und kennt sich in Sachen ungarndeutsches Kirchenlied gut aus.

 

Die katholische Kirche in Maan / Mány

Die alte barocke Orgel in Maan

Heilige Elisabeth, bitte für uns!

Dr. Franz Metz am alten Spieltisch der Orgel

Vortrag für die Delegierten der ungarndeutschen Selbstverwaltung

Die Nepomuk-Statue in Schambek

Die katholische Kirche in Schambek

Bildstock vor der Kirche

Christus ist für alle da - Schambek 1873

Gedenktafel für Josef und Johann Gungl in Schambek

Gedenktafel für die Lehrer Johann Klemm und Georg Foglein

Gedenktafel für die vertriebenen Deutschen aus Schambek, April 1946

 

In Neusatz / Novi Sad

 

Nach dem erfolgversprechenden Anfang in Ungarn ging die Reise weiter in Richtung Batschka und Neusatz (serb. Novi Sad). Im Kulturinstitut der Republik Wojwodina fand am nächsten Tag die Vorstellung des donauschwäbischen Gesangbuches statt. Die junge serbische Musikwissenschaftlerin Marijana Kokanovic stellte den Autor des Gesangbuches kurz vor und hielt in serbischer Sprache eine einführende Rede. Einige der Anwesenden sprachen und verstanden sehr gut Deutsch, die meisten jüngeren Leute aber sind besser im Englischen bewandert. Dem in Neusatz tätigen deutschen Chor wurden etliche Gesangbücher als Geschenk überlassen, sie werden bestimmt bei vielen Gottesdiensten und Feiern Verwendung finden. Auch Prof. Dr. Nice Fracile von der Serbischen Akademie der Wissenschaften, ein Fachmann auf dem Gebiet der Ethnomusikologie und Folklore dieser multiethnischen Region Serbiens, war ebenfalls zugegen.

Ein Besuch in der katholischen Pfarrkirche der Großstadt, gelegen in der Stadtmitte gegenüber dem Rathaus, gehört zu dem Pflichtprogramm jedes Touristen, der diese Donaustadt besucht. Prächtig schimmerten die hohen Vitralien in allen Farben, die neugotischen Säulen umstellen die südtiroler Altäre, die noch aus den berühmten Schnitzereien Ferdinand Stuflessers aus St. Ulrich im Grödnertal stammen. Die Rangordnung der wichtigsten Gebäuden der Innenstadt mit der stattlichen katholischen Pfarrkirche gegenüber des im Jugendstil errichteten Rathauses, stammt noch aus jener Zeit, als Neusatz (serb. Novi Sad, ung. Ujvidék) die Hauptstadt der Batschka war und diese Region zu Österreich-Ungarn gehörte.

Ebenso gehört der Spaziergang nach Peterwardein (serb. Petrovaradin) zu diesem Kurzbesuch. Die neue Brücke, während des Bürgerkrieges von der NATO zerstört, wurde längst wieder aufgebaut. Wenn vor etwa 10 Jahren an dieser Stelle noch Postkarten mit anti-NATO-Parolen verkauft wurden, so scheint sich inzwischen die Situation beruhigt zu haben. Nicht nur die Stadtmauern sondern auch die darin wohnenden Menschen sind von Mitteleuropa geprägt und es nur ist zu hoffen, dass bald auch sie Teil der Europäischen Union werden.

Von der alten Festung zu Peterwardein, von Prinz Eugen mit vielen anderen deutschen Fürsten in den Befreiungskriegen gegen die Türken als Stützpunkt verwendet, hat man einen herrlichen Blick über die zerbrochenen alten Dächer und durchlöcherten Dachrinnen dieser heute noch sehr österreichisch wirkenden Altstadt: fast jedes Haus besitzt eine Nische mit Heiligenfiguren, teilweise sind deutsche Schriftzeichen noch an den Fassaden zu erkennen und die schmiedeeisernen Balkone trotzen mühevoll der Schwerkraft. Schade, dass sich das kunstsinnige Europa solcher historischer Schätze noch nicht angenommen hat. Bei einem Spaziergang durch diesen Vorort von Neusatz kommt man sich vor wie in einer verlassenen und vergessenen mitteleuropäischen Altstadt: hie und da eine kleine Gaststätte, die noch erhaltenen alten Stadttore, die katholische renovierungsbedürftige barocke Kirche, die engen Gassen mit dem Kopfsteinpflaster und die breiten steinernen Treppen die hinauf zur Festung führen. Und diese scheint die ganze Gegend zu beherrschen. Man sieht tief hinein in die Auen der Donau und das historische Mauerwerk scheint unüberwindbar zu sein.

In der alten Kaserne der Peterwardeiner Festung befindet sich ein Teil des städtischen Museums: Biedermaier Möbel, Gemälde, alte Vitrinen, sakrale Gegenstände, Ikonen und nicht zuletzt alte Wiener Klaviere. Solche Musikinstrumente konnte man in fast jedem Haus dieser Stadt bis zum zweiten Weltkrieg finden. Und an einer Wand, in einem ovalen Messingrahmen, eine „Lebensregel“ aus vergangener Zeit:

Des Morgens denk an deinen Gott,

des Mittags iss vergnügt dein Brod,

des Abends denk an deinen Tod,

nachts verschlafe deine Noth!

 

Die katholische Pfarrkirche in Neusatz

Die Angster-Orgel

Die bunten Kirchenfenster

Die Altäre und Statuen kommen aus Südtirol, aus der Werkstatt von Ferdinand Stuflesser, St. Ulrich, Gröden, Tirol

Drei Musikwissenschaftler: Dr. Franz Metz (l.), Dr. Marijana Kokanovic, Dr. Nice Fracile (r.)

Die Synagoge von Neusatz, heute Konzertsaal

Viele Ähnlichkeiten mit der Temeswarer Synagoge

Blick zur Orgelempore mit der leeren Orgel in der Synagoge von Neusatz

Die Kuppel der Synagoge

Die neue Brücke über die Donau zwischen Neusatz und Peterwardein

Willkommensgruss auf der Festung Peterwardein

Die Festung Peterwardein

Über den Dächern Peterwardeins

Vergängliche Schönheit...

Blick zur katholischen Kirche in Peterwardein

Das alte Stadttor

Lebensregel - Museum Peterwardein

Der Festungsturm

Neusatz am anderen Ufer der Donau

 

 

Vom serbischen ins rumänische Banat

 

Von Neusatz geht es nicht mehr lange bis zur Theiß, der westlichen natürlichen Grenze des historischen Banats, gleich danach kommt die Bischofstadt Großbetschkerek (serb. Zrenjianin) und es folgen zahlreiche kleine Orte. Einem Banater wird es gleich bewusst, dass er sich in seinem von Peter Jung gepriesenen Heimatland befindet, wenn er auch die kyrillischen Orts- und Straßennamen nur schwer verstehen kann. In den letzten Jahren wurden auch in der Wojwodina systematisch lateinische Straßenbezeichnungen mit kyrillischen ersetzt. Musste dies unbedingt sein?

Wie Recht hatte doch die irische Schriftstellerin in ihrem Bestseller Das wilde Herz Europas, in dem sie voller kindlicher Naivität diese südosteuropäische Region beschreibt: irgendwelche Politiker mussten vor Jahrzehnten auf einem Tisch, fern aller Realität, verblendet von Nationalismus, Egoismus und Revanchismus, eine Grenze durch die Natur gezogen haben, ohne zu wissen, dass hier auch Menschen wohnen. Der Reisende beobachtet nur die erstaunlichen Ähnlichkeiten zwischen den Orten vor und nach der Hatzfelder Grenze: Feld, soweit das Auge reicht, Zerfallene alte Fassaden ehemals schwäbischer Bauernhäuser, verstaubte Kulturhäuser aus sozialistischer Ära und Kirchen, in denen schon seit langer Zeit nicht mehr gebetet und gesungen wird.

 

In Temeswar

 

Und so gelangte auch das neue Katholische Gesangbuch der Donauschwaben in das Banat. Die Präsentation fand im Festsaal des Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus statt, das vor etwa 20 Jahren mit deutschen öffentlichen Mitteln und für die deutsche Minderheit des Banats und Temeswars errichtet wurde. Recht viele Interessierte versammelten sich in dieser familiären Runde und zugegen waren der Vorsitzende des Demokratischen Forums der Banater Deutschen, Dr. Karl Singer sowie der Generalvikar der Temeswarer Diözese, Johann Dirschl. Auch hier wurde klar, dass die Auflage des neuen Gesangbuches viel zu klein berechnet war und dass eine zweite Auflage dringend notwendig sei.

Zu einer interessanten Begegnung mit jungen Doktoranden wurde der Vortrag Franz Liszt und seine Konzertreise durch das Banat und Siebenbürgen am Vorabend der Revolution von 1848 am Lehrstuhl für zeitgenössische Geschichte der Westuniversität in Temeswar. Der Gastgeber, Prof. Dr. Victor Neumann lud dazu auch Kollegen anderer Abteilungen ein, so dass es zu interessanten Gesprächen kommen konnte. Bekanntlich war dies die letzte Konzertreise Liszts als Klaviervirtuose, danach wird er nie mehr als Pianist solche Reisen unternehmen. Liszt beschäftigte sich damals bereits mit der Volksmusik der verschiedenen Völker die er auf seiner langen Reise begegnet ist, notierte sich ihre Melodien und machte seine Studien zu seinem späteren problematischen Buch Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn. Die Revolution hatte bereits ihre Schatten vorausgeworfen und das bekam in seinen Konzerten auch Liszt zu spüren.

Maria Radna durfte auch diesmal auf dem Reiseplan nicht fehlen: am 1. März 2012 wurde endlich in Bukarest durch den Minister für Tourismus und Regionalentwicklung und durch Bischof Dr. h.c. Martin Roos, Temeswar, der Vertrag unterschrieben, nachdem nun die Renovierungsarbeiten eingeleitet werden können. Domkapitular Andreas Reinholz, Pfarrer von Maria Radna, hofft sehr, dass in einigen Wochen die ersten Laster und Baggers im Innenhof des ehrwürdigen Franziskanerklosters stehen werden. Auch ein Besuch in Neuarad brachte Neuigkeiten mit sich: die Dreifaltigkeitssäule wurde vor die katholische Pfarrkirche verlegt. Keine schlechte Entscheidung. Gleichzeitig erstrahlt dieses Denkmal nun in neuem Glanz. Auch die Dangl-Wegenstein-Orgel wurde in der Zwischenzeit renoviert und das kleine Positiv aus Großdorf (Satul Mare) repariert und dient nun als Zweitinstrument in dieser Kirche.

Zum Abschluss dieser Reise – man könnte vielleicht sagen Pilgerfahrt – folgte noch ein weiterer Vortrag in einem besonderen Raum: Franz Liszt in Temeswar, gehalten in jenem ehemals barocken Saal, in welchem der Klaviervirtuose am 2. November 1846 sein erstes Konzert in dieser Stadt gegeben hat. Auch an diesem Gebäude auf dem Temeswarer Domplatz wurde seit Jahrzehnten renoviert und umgebaut – und teilweise gestohlen. Ein Architekt berichtete, dass noch vor dem Sturz Ceausescus fast alle original erhaltenen Wertgegenstände verschwunden sind, von der Türklinke bis zu den Kachelöfen. Nun wird dieses ehemalige Komitatshaus mit dem Sitz des Gouverneurs als Museum benützt und der Besucher kann nicht nur die gelungene Innenrenovierung bestaunen, sondern auch die reichhaltige Gemäldesammlung Temeswars.

Auch bei diesem Vortrag ein voller Saal und ein äußerst interessiertes Publikum, das aber (leider) die Geschichte der eigenen Heimatstadt viel zu wenig kennt. Ist es Identitätswandel oder Identitätskrise? Oder beides?

Und ja, da wären noch zwei weitere Feststellungen: der Heilige Geist (mit dem Strahlenglanz) von der Pestsäule (Dreifaltigkeitssäule) am Temeswarer Domplatz schlummert irgendwo im Museumskeller und die Muttergottes-Statue des Marien-Denkmals (an Erinnerung an die Hinrichtung des Aufständischen György Dozsa) wurde in einer Januarnacht dieses Jahres [2012] mutwillig zerstört. Temeswar will aber in wenigen Jahren Kulturhauptstadt Europas werden. Wie passt das zusammen?

 

Temeswarer Domkirche

Das Komitatshaus in Temeswar

Vortrag von Dr. Franz Metz im Guttenbrunn-Haus, Temeswar

Vortrag an der West-Universität Temeswar, Lehrstuhl für zeitgenössische Geschichte

Arad: das Hotel Zum weissen Kreuz (heute Hotel Ardealul), wo Franz Liszt 1846, Johann Strauss 1847 und Johannes Brahms konzertierten

Gedenktafel für Franz Liszt in rumänischer, ungarischer und englischer Sprache

Die katholische Kirche in Neuarad

Dangl-Wegenstein-Orgel in Neuarad

Das renovierte Positiv aus Großdorf (heute in Neuarad stehend)

 

Copyright © Dr. Franz Metz, München 2013

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