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E D I T I O N   M U S I K   S Ü D O S T

Musikforschung und Südosteuropa.

Die Wiederentdeckung deutscher Musikkultur in Südosteuropa durch die Zeitschrift Deutsche Musik (gegründet 1933).

Ein Intermezzo mit Folgen

von Dr. Franz Metz

Einführung

 

Die Dokumentation, Erforschung und Pflege der deutschen Kultur und Geschichte außerhalb der Grenzen der deutschsprachigen Länder bleibt weiterhin ein Problemfall in der gegenwärtigen kulturpolitischen Sphäre des zusammenwachsenden Europas. Ob im Rahmen staatlich geförderter Institute oder Projekte, bedingt durch Vertriebenen- oder Minderheitengesetze, von verschiedenen politischen Parteien und Orientierungen befürwortet oder verstossen, als eine Bereicherung für die jeweiligen Staaten oder eine Last, als zukunftsorientiert oder stets als kulturelle Belange der „Ewiggestrigen“ betrachtet, als ein wertvolles kulturelles Erbe oder als minderwertiger Abklatsch „rein-deutscher“ (übrigens ein deutscher Begriff) Kultur gewertet, als ein Anliegen der Bundesrepublik Deutschland oder / und Österreichs gesehen, als eine finanzielle Last für Regierungen in der Sicherung und Betreuung dieser speziellen kulturellen Nachlässe und nicht zuletzt – als eine Identitäts- und Herzensangelegenheit vieler vertriebener, geflüchteter oder ausgesiedelter Zeitgenossen oder jener Landsleute die – aus welchen Gründen auch immer – in der alten Heimat geblieben sind: Die deutsche Kulturforschung in den verschiedenen südosteuropäischen Regionen, ob in Siebenbürgen, dem Banat, der Batschka oder in der Bukowina, ist weiterhin ein umstrittenes Forschungsfeld in unserer europäischen Kulturlandschaft.

Wir kennen auch die Gründe dieser Problematik:

1. die Folgen des Ersten Weltkriegs,

2. der Nationalsozialismus mit all seinen Auswüchsen und

3. die grausamen Folgen durch den Zweiten Weltkrieg.

Wir könnten auch die Folgen der Wende oder Revolution von 1989 dazuzählen, denn der größte Exodus aus Siebenbürgen oder dem Banat geschah erst kurz danach – paradox: nach der Erlangung von Rechten und Freiheit, auch für die deutschen Minderheiten in den ehemals sozialistischen Staaten.

Unsere deutsche Musikforschung, speziell in der Bundesrepublik, stößt in akademischen und eben in den Kreisen der Wissenschaft auf eine ganze Palette von Missverständnissen, Interpretationen, Abneigungen, Pauschalurteilen, Ignoranz oder gar Inakzeptanz. Dies beweisen so manche wissenschaftliche Arbeiten, die in den letzten Jahren publiziert wurden. Man macht es sich nicht leicht in Sachen der Kulturforschung der „anderen“ Deutschen – selbst nach fast 150 Jahren seit dem ersten Bekanntwerden dieser Musikkultur im Rahmen deutscher Sängerfeste.

Heute, nach dem großen „Auswandern“ und „Hierbleiben“, nach der Erfahrung zweier schrecklicher Diktaturen, aber auch nach der Erfahrung der Grenzen der Freiheit und des Möglichen, hätten wir die Gelegenheit, wenigstens wissenschaftlich und objektiv, uns diesem – meiner Ansicht nach zukunftsträchtigen – Teil gemeinsamer europäischer Kulturgeschichte anzunehmen.

Eine große deutsche Tageszeitung brachte vor Kurzem folgenden Bericht: „Im schnellen geopolitischen Begriffswandel hat sich Osteuropa aufgelöst, verschwindet der Balkan, kommt Südosteuropa aus der Mode, ist Westeuropa nur noch ein großes Missverständnis, und der Norden war nie abendfüllend. Mitteleuropa ist das attraktivste Markenzeichen, das zur Zeit zu vergeben ist, und die Rechte liegen bei Österreich.“

Gleich, ob man Siebenbürgen und das Banat, Rumänien und die Länder Ex-Jugoslawiens zu Südost- oder zu Mitteleuropa zählt, ob wir uns mit der südost- oder mitteleuropäischen Musikgeschichte beschäftigen – dieses Teilgebiet der Musikforschung hat Zukunft. Und noch wichtiger: Die Forschungsgebiete haben Namen – Siebenbürgen, das historische Banat, Bukowina oder die Batschka, Slowenien, Kroatien, Rumänien, Serbien, Montenegro, Bosnien, Ungarn usw.

All diese Zusammenhänge sind wichtig, um pauschale Vorurteile bezüglich der zitierten Zeitschrift zu vermeiden. Musikwissenschaft im Dienste der Politik oder Politik im Dienste der Musikwissenschaft – beide Varianten sind möglich, wenn sie friedlichen Zwecken und den Menschen – ob als nationale Minderheit oder als Nation – dienen. Der größte rumänische Musiker, George Enescu, hat in einem Interview einmal zu seinem Gesprächspartner gesagt – es war zwei Jahre vor dem Erscheinen der Zeitschrift Deutsche Musik: „Ich möchte dich bitten, meiden wir jedwelche Diskussion über nationalistische Probleme, sie sind nicht würdig für uns; diese garstige Angelegenheit geht nur die Politiker was an.“

 

Die Zeitschrift Deutsche Musik

 

Die Zeitschrift Deutsche Musik. Monatsschrift für deutsche Musik in aller Welt. Mitteilungsblatt der Heinrich Schütz-Gesellschaft e.V., Sitz Dresden erschien zum ersten Mal im Jahre 1933, Herausgeber war Dr. Erich Hermann Müller (von Asow), Hauptschriftleiter Otto Rolf Schubert. Im Jahre 1935 wurde das Erscheinen dieser Publikation eingestellt. Betrachten wir die kurze Erscheinungsdauer dieses Blattes, so handelt es sich wirklich nur um ein „Intermezzo“ in der Musikforschung jener Zeit. Die meisten wissenschaftlichen Abhandlungen, die darin veröffentlicht wurden, die Porträts von Musikern, die Werbung für zeitgenössische Musik, die Recherchen zur südosteuropäischen Musik, all dies zeugt von hohem professionellen Niveau des Herausgebers, der, trotz des ideologischen Drucks jener Zeit, der Wissenschaftlichkeit den Vorrang lässt.

Die Unterstreichung des nationalen Elements in den Aufsätzen dieser Zeitschrift – in diesem Fall des deutschen – war für die Zwischenkriegszeit keine Besonderheit. Dies geschah in allen damaligen europäischen Kulturen, speziell aber in jenen Staaten, die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und nach dem Vertrag von Trianon zu neuen, größeren Nationalstaaten oder Königreichen erklärt wurden. Denken wir hier an das Königreich der Südslawen, an das seit Jahrhunderten um die nationale Unabhängigkeit kämpfende und nun neu entstandene Großrumänien, aber auch an jene Staaten, die nach dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns ihre Nation und Nationalität neu definieren mussten, wie Ungarn und Kroatien. Dies galt auch für die deutschen Minderheiten in den nun neu entstandenen Staaten Südosteuropas, speziell in Rumänien, Ungarn, Südslawien und in Teilen der Sowjetunion. Die politischen Karten wurden nun neu gemischt, aus Minderheiten wurden Mehrheiten und aus Nationen wurden Nationalitäten.

Dass das Erscheinen der Deutschen Musik mit der politischen Machtergreifung Adolf Hitlers 1933 zeitlich zusammenfällt, ist kein Zufall. Man wollte sich nun erst recht auch der deutschen Kultur außerhalb der Grenzen des damaligen Deutschen Reiches annehmen, speziell in den sogenannten deutschen Siedlungsgebieten in Siebenbürgen und dem Banat. Dies wünschten sich eigentlich auch die Siebenbürger Sachsen, Banater Schwaben und Donauschwaben. Man war stolz, als Minderheit im Ausland zu der aufbrechenden deutschen großen Nation zu gehören, man dachte sich nun geborgen und in Sicherheit. Für viele Intellektuelle im Banat oder in Siebenbürgen ging diese Annäherung jedoch zu weit. Man wollte weiterhin der deutschen Kultur treu bleiben, aber jener in der Heimat und nicht jener, die von Berlin aus in den Südosten exportiert wurde. Spätestens mit der Ansprache Hitlers vom 6. Oktober 1939 wurde vielen deutschen Intellektuellen im Banat und in Siebenbürgen bewusst, dass der eigenen deutschen kulturellen Identität Gefahr droht. Es war aber schon zu spät.

Der Dichter der Banater Hymne, Peter Jung (1887-1966) aus Hatzfeld (rumän. Jimbolia), schrieb damals folgende Verse (Eine Entgegnung auf gewisse nazistische Ermunterungen nach einer Hitlerrede am 6. Oktober 1939):

 

Der Schwabe soll umsiedeln?

Was hat er denn getan? –

Was braune Geiger fiedeln,

Das geht uns gar nichts an.

[…]

Das soll sich jeder merken,

Der schleicht um uns herum,

Uns aber soll es stärken:

Kein Schwabe siedelt um!

 

Mit der Zeitschrift Deutsche Musik hat man sich nicht zum ersten Mal in der Geschichte der deutschen Musikkultur Südosteuropas angenommen. Solches geschah bereits im Rahmen der ersten deutschen Sängerfeste in Coburg und Nürnberg um 1861, bei denen man großzügig in Publikationen auf die deutschen Chöre in Siebenbürgen, im Banat und in Ungarn hingewiesen hat. Es blieb aber nur bei einem allgemeinen Staunen, dass es hier überhaupt eine deutsche Kultur gibt. Diese Aspekte und Berichte sollten nun durch die Deutsche Musik systematisch erarbeitet und wissenschaftlich vertieft werden.

Das Vorwort der ersten Nummer dieser Zeitschrift zeigt uns die ideologische Richtung der Berichterstattung:

 

Zum Geleit.

Die Zeitschrift ‚Deutsche Musik’ hat die Aufgabe, die Verbindung zwischen dem deutschen und auslandsdeutschen Musikleben enger zu gestalten. Man muß sich immer wieder die Tatsache vor Augen halten, daß Deutschland mit seinen 60 Millionen Einwohnern nur die Etappe bildet für die 40 Millionen Auslandsdeutschen, die im Kampfe für ihr deutsches Volkstum und ihre deutsche Musikkultur stehen. Wie beschämend wenig weiß man im allgemeinen von dem außerordentlich regen Musikleben der Auslandsdeutschen, von seiner Geschichte, seinem Werden und seinem Wesen. Aber auch die einzelnen auslandsdeutschen Volksgruppen können sich kaum ein Bild davon machen, was in anderen Volksgruppen auf musikalischem Gebiet geleistet wird. Die ‚Deutsche Musik’ will ein Mittel werden, Gedanken und Erfahrungen auszutauschen. Sie hofft dabei auf regste Mitarbeit aller auslandsdeutschen Musikkreise, in deren eigenstem Interesse es liegt, die Leser der ‚Deutschen Musik’ in aller Welt über ihre Pläne und Leistungen auf dem Laufenden zu erhalten. Gleichzeitig aber will die ‚Deutsche Musik’ deutschen Komponisten und Musikern den Weg zum Auslandsdeutschtum erleichtern und auslandsdeutschen Komponisten und Künstler in Deutschland und den anderen auslandsdeutschen Volksgruppen bekannt machen. Durch eine Förderung dieser Beziehungen hofft die ‚Deutsche Musik’ auf eine Befruchtung des deutschen, wie des auslandsdeutschen Musiklebens. Die ‚Deutsche Musik’ wird aber auch alle undeutschen Auswüchse des Musiklebens bekämpfen und zu den Quellen reiner deutscher Kunst hinführen.

 

Wie bei diesem Geleitwort, so finden wir immer wieder gegen Ende jedes Aufsatzes oder jeder wissenschaftlichen Abhandlung dieser Schrift einen Schlusssatz, der für die damalige politische Korrektheit sorgen soll, in diesem Fall: „Die ‚Deutsche Musik’ wird aber auch alle undeutschen Auswüchse des Musiklebens bekämpfen und zu den Quellen reiner deutscher Kunst hinführen.“ Ob man sich dies so in Siebenbürgen oder im Banat gewünscht hat, ist zu bezweifeln: die Unterstützung und Förderung der deutschen Kultur durch Vernichtung jener Kulturen, mit denen man schon seit Jahrhunderten nebeneinander gelebt hat? Wie weit würden sich die deutschen Musikkulturen in Siebenbürgen, im Banat, in der Batschka und in Ungarn aber selbst erhalten können? Wo beginnt und wo endet das Diktat aus dem Deutschen Reich? Der Preis für die kulturellen Förderungen auch im Bereich der Musikkultur würde hoch sein. Welchen Einfluss hatten die zahlreichen Dirigenten, Musiker und Pädagogen, die man nach Siebenbürgen oder ins Banat sandte? (Wir wissen, dass viele Musiker aus dem Deutschen Reich oder aus Wien bereits in den zwanziger Jahren sich freiwillig hier niedergelassen hatten.) All diese Aspekte werden in der nur kurzen Zeitspanne ihres Erscheinens der Deutschen Musik klar und unmissverständlich geschildert. Viele der darin angesprochenen Probleme sind bis heute Problemfälle geblieben. Viele Ausdrucksformen haben sich im deutschen kulturpolitischen Jargon bis heute nicht geändert, so der problematische Sammelbegriff einer „deutschen Kultur im Osten“, heute etwas abgemildert als „östliches Europa“ bezeichnet.

Im Mittelpunkt der Zeitschrift Deutsche Musik steht unmissverständlich Siebenbürgen:

- die meisten Kurzberichte stammen aus Hermannstadt (rumän. Sibiu), Kronstadt (rumän. Braşov), Schäßburg (rumän. Sighişoara), Klausenburg (rumän. Cluj), Petersdorf (rumän. Petriş) usw.;

- der siebenbürgische Komponist Paul Richter wird bereits in der ersten Nummer dieser Zeitschrift an erster Stelle gewürdigt, es erscheinen Lebensläufe, Porträts, seine Autobiographie, es wird für seine Konzerte und seine Kompositionen geworben;

- wissenschaftliche Abhandlungen und Artikel über die Kronstädter Musiksammlung, über das Schaffen Rudolf Wagner-Régenys und Paul Richters, über Aufgaben und Probleme der siebenbürgischen Musikforschung und zahlreiche Porträts siebenbürgischer Musiker wurden meist vom Herausgeber verfasst;

- der Rezeption der siebenbürgischen Musik in Deutschland wurde eine wichtige Bedeutung zugemessen, was auch die Berichte über die „Siebenbürgischen Abende“ in Dresden zeigen.

 

Der Herausgeber Dr. Erich Hermann Müller (von Asow)

 

Dr. Erich Hermann Müller von Asow kam 1892 in Dresden zur Welt und starb 1964 in Berlin. Er studierte 1912-1915 Musikwissenschaft, Völkerkunde, Pädagogik in Leipzig, u. a. bei Hugo Riemann und Arnold Schering, war danach Regieassistent am Neuen Theater, 1917 künstlerischer Leiter des 1. Modernen Musikfestes in Dresden, später ab 1926 Dozent für Musikwissenschaft, ab 1931 Leiter der Musikabteilung am Mitteleuropa-Institut in Dresden, 1933-1945 freier Musikwissenschaftler und seit 1945 Gründer und Leiter des Internationalen Musiker-Brief-Archivs. Er war Spezialist für Musiker-Epistolographie, Initiator der Heinrich-Schütz-Gesellschaft (1922), der Deutschen Chopin-Gesellschaft (1959), Ritter des Ordens der Krone von Rumänien, Träger der Mozart-Medaille, usw. Von seinen musikwissenschaftlichen Arbeiten sei besonders die Publikation Die Musiksammlung der Bibliothek in Kronstadt erwähnt.

Schon in den ersten Heften dieser Zeitschrift zeigte es sich, dass der Herausgeber den damaligen politischen Richtlinien treu folgte. In dem Buch Handbuch der Judenfrage, herausgegeben von Theodor Fritsch, zeichnete Müller für das Kapitel Das Judentum in der Musik verantwortlich. Dieses Buch wurde in einem der Hefte des ersten Jahrgangs vorgestellt. Dabei trat der Rezensent in eine Debatte um den Komponisten Max Bruch ein, ob dieser wirklich jüdischer Abstammung sei, da er von Müller in seinem Artikel ausgelassen wurde. Gleich der Autor des nächsten Artikels Zeitschriftenschau, dessen Text aus dem nationalsozialistischen Blatt Hammer entnommen wurde, bringt den Musikhistoriker Hans Joachim Moser durch sein soeben in dritter Auflage erschienenes Musiklexikon in ein ungünstiges Licht. Jener wirft ihm vor, dass er als Berliner Universitätsprofessor und Direktor der Staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik die Aula für jüdische Gottesdienste vermietet habe, dass er nicht richtig Deutsch können und „uns jetzt noch immer zu erklären die ‚Chuzbe’ hat, daß die ‚Spitzen’ der jungen deutschen Musik Juden, Halbjuden und jüdische Versippte sind“. Der Autor dieser Zeilen verlangte zum Schluss, dass man Moser schleunigst seiner Ämter entheben sollte. Schon im nächsten Heft wurde angekündigt: „Der Direktor der staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik Prof. Dr. Hans Joachim Moser ist in den Ruhestand versetzt worden.“

Im ersten Heft des zweiten Jahrgangs 1934 veröffentlichte Müller eine grundlegende Studie über siebenbürgische Musikforschung: Aufgaben und Probleme einer siebenbürgisch-sächsischen Musikgeschichte, grundlegend deshalb, weil er darin fast alle Seiten der Musikkultur anspricht, den Stand der bisherigen Forschung schildert und Wege für zukünftige Recherchen zeigt. Der Leser erhielt auf diese Weise die Möglichkeit, bisher publizierte Arbeiten über siebenbürgische Musikkultur kennen zu lernen, so die Schrift Egon Hajeks Die Musik, ihre Gestalter und Verkünder in Siebenbürgen (Kronstadt 1927), Friedrich Traugott Schusters Das deutsche Kirchenlied in Siebenbürgen (Mediasch [rumän. Mediaş] 1856-1858), die Studie von Ludwig Michaelis Das älteste deutsche Kirchengesangbuch Siebenbürgens oder das Standardwerk von Gottlieb Brandsch Siebenbürgisch-deutsche Volkslieder (Hermannstadt 1931). Zum Beginn der Arbeit Müllers heißt es:

 

Wenn sich ein Forscher in ein seiner Wissenschaft nach nicht systematisch erschlossenes Gebiet begibt, so muss es seine erste Aufgabe sein, sich über die Grenzen dieses Gebietes und das innerhalb dieser bereits Geleistete völlige Klarheit verschaffen. Bei einer siebenbürgisch-sächsischen Musikgeschichte bietet die äußere Absteckung der Grenzen keine allzu großen Schwierigkeiten. Der Begriff dieser Musikgeschichte deckt sich mit dem einer Geschichte der Musik und des Musiklebens bei den germanischen Ansiedlern in Siebenbürgen… Es wäre historisch durchaus verfehlt, Siebenbürgen als einen konstanten Begriff fassen zu wollen. Die hervorragendste Leistung siebenbürgischer Wissenschaft, Teutschs ‚Sachsengeschichte’, belehrt über den ewigen Fluß, dem nicht nur die Grenzen, sondern auch die Bevölkerung ausgesetzt waren.

 

Natürlich bezieht sich Müller dabei nur auf die geschlossenen deutschen Siedlungsgebiete, ohne auch nur die ungarische oder rumänische Bevölkerung zu erwähnen. Trotzdem muss man Müller als einen der wenigen und ersten deutschen Musikwissenschaftler bezeichnen, der selbst Feldforschungen unternahm, um die Objektivität und Zuverlässigkeit bereits publizierter wissenschaftlicher Daten zu belegen.

Seinen eigenen Angaben nach hatte zu diesem Zeitpunkt Müller bereits mehrere Arbeiten über Siebenbürgen publiziert:

- Zur Versteigerung des Codex Bakfark, in: Kronstädter Zeitung vom 4. Juni 1929;

- Eine Hermannstädter Weihnachtsmusik aus dem 17. Jahrhundert, in: Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, Nr. 16969, 26. Dezember 1929;

- Die alte Orgel in der evangelischen Pfarrkirche zu Hermannstadt, in: Johannes Biehler-Festschrift, Leipzig 1930;

- Eine Tabulatur des Dresdner Hoforganisten Kittel (von Daniel Croner), in: Zeitschrift für Musikwissenschaft, Januar 1931.

Obwohl Müller sich in seinen Forschungen und Berichten hauptsächlich auf die deutsche Musikkultur Siebenbürgens beschränkte, so machte er in diesem Artikel folgende Bemerkung: “Wertvoll erscheint es auch festzustellen, ob Melodien siebenbürgisch-sächsischer Volkslieder auf das ungarische und rumänische Volkslied eingewirkt haben und so eine Wechselwirkung stattgefunden hat, denn es gibt einige Volkslieder in siebenbürgisch-sächsischer Mundart, die nach rumänischen und ungarischen Melodien gesungen werden.”

Erich Hermann Müller hielt über seine musikwissenschaftlichen Forschungen in Siebenbürgen auch Vorträge, so im Frühjahr des Jahres 1934 anlässlich der Tagung des Siebenbürgisch Sächsischen Sängerbundes, und sprach über Geschichte der Musik bei den Siebenbürger Sachsen. Den gleichen Vortrag hielt er auch in Klausenburg.

Zu den bedeutendsten Arbeiten Müllers zählt die Studie Die ältesten Musikalienbestände der Bibliothek zu Kronstadt, erschienen im Heft 6 des zweiten Jahrgangs dieser Zeitschrift (1934). Die vierzehnseitige Arbeit umfasst eine genaue Bestandsaufnahme des Inhalts vieler mittelalterlicher Abschriften, Inventarbücher, Codices und alter Manuskripte noch aus vorreformatorischer Zeit.

Bereits 1929 hatte Müller von Asow sein Deutsches Musiker-Lexikon im Dresdner Wilhelm-Limpert-Verlag herausgegeben, in dem eine Reihe deutscher Musiker aus Siebenbürgen genannt werden: Victor Bickerich (1895-1964), Franz Xaver Dressler (1898-1981), Berta Bock (1857-1945), Arthur Stubbe (1866-1938), Paul Richter (1875-1950), Gustav Maroscher, Elsa Anna Plattner, u. a. Aus dem Banat kommt nur ein einziger Komponist vor: Josef Andreas Fritz Sykora, geb. 1885 in Ungarisch-Weißkirchen (serb. Bela Crkva). In seinem Vorwort erklärt Müller den Grund für die Erstellung eines solchen deutschen Musikerlexikons, nämlich „das Bild abzurunden, indem auch auslandsdeutsche und für das deutsche Musikleben wichtige oder im deutschen Musikleben bekannte ausländische Musiker Aufnahme finden“. Aufgenommen wurden in dieses Lexikon nur zeitgenössische Musiker.

Natürlich war der Herausgeber dieser Zeitschrift gleichzeitig ein Sprecher der nationalsozialistischen Propaganda jener Zeit, in diesem Fall besonders des Reichsleiters Alfred Rosenberg. Anlässlich des 250. Geburtstags Georg Friedrich Händels fanden in Halle großangelegte Feierlichkeiten statt, bei denen Rosenberg in seiner Rede auch auf die neuen vorgeschriebenen musikgeschichtlichen Interpretationen einging. Müller schreibt: „Reichsleiter Alfred Rosenberg spannte den Inhalt seiner Festrede über den weiten Grund einer neuen deutschen Geschichtsbetrachtung, an der auch die deutsche Musik nicht vorbeigehen darf. Alfred Rosenberg entwarf in großen Zügen ein Lebensbild Händels so, wie wir es unter dem Gesichtswinkel der Gegenwart, vom Blickwinkel des Nationalsozialismus aus, zu sehen haben. Wir kommen mit Beethoven zu der Erkenntnis, daß für den deutschen Menschen Kunst nichts zu tun hat mit Artistentum, daß sie wohl strenge und klare Formen anerkennt, sie aber immer nur als Ausdruck eines inneren Kämpfens begreift, das sich stets zwischen gegensätzlichen Kräften abspielt und von einem alles beherrschenden Willen entschieden wird.“

Interessant ist zu bemerken, dass Müller diese Ausführungen Rosenbergs nicht interpretiert und auch nicht – wie man es hätte erwarten können – für seine „auslandsdeutsche Musikthematik“ eins zu eins umsetzt. Er ließ es bei einem sachlichen Bericht.

 

Paul Richter im Blickfeld

 

Von Müller von Asow stammt auch ein Aufsatz in der ersten Nummer der Zeitschrift über Paul Richter (1875 Kronstadt–1950 Neustadt im Burzenland, Siebenbürgen [rumän. Cristian]). In Dresden war der Kronstädter Generalmusikdirektor und Konservatoriumsprofessor kein Unbekannter mehr, denn hier war zu diesem Zeitpunkt seine 3. Sinfonie von der Staatskapelle unter Kurt Striegler bereits aufgeführt worden. Müller schreibt in der Einführung des Beitrages: „Zu einem Zeitpunkt, in dem man sich auf unsere deutsche Musik endlich wieder zu besinnen anfängt, richtet sich der Blick unwillkürlich auch stärker wieder auf das Auslandsdeutschtum, das in seinem zähen Festhalten am Deutschtum für alle Reichsdeutschen vorbildlich sein sollte. Der Stamm der Siebenbürger Sachsen hat sich unter allen jenseits der Grenzen des Reiches wohnenden Volksgruppen sein Deutschtum am reinsten bewahrt. Betrachtet man den Ablauf der siebenbürgischen Musikgeschichte, so fällt sofort auf, daß seit Valentin Greff-Bakfark, der im Jahrhundert der Reformation wirkte, bis in unsere Tage hinein kein anderer Komponist mit seinem Schaffen in Deutschland ernstliche Beachtung gefunden und verdient hat. Den Ursachen nachzuspüren wäre eine Aufgabe, die etwa zum Ergebnis führen dürfte, daß einerseits die Siebenbürger Sachsen ihre geistige Nahrung von Deutschland erhielten und andererseits der Kampf um die Existenz und das Deutschtum viele Talente nich zur vollen Entfaltung kommen ließ.“

Nach einigen gut dokumentierten biographischen Daten und Angaben zu seinem Wirken stellt Müller weiter fest: „In seiner Musik klingt zweifellos die siebenbürgische Natur und Umwelt, die für den deutschen Hörer einen gewissen österreichischen Zug hat. [...] In der ‚Karpathischen Suite’ gibt Richter echte Heimatkunst, sie ist wie kein anderes seiner Werke von dem Weben und Walten der siebenbürgischen Landschaft erfüllt. [...] Wenn er auch heute noch wenig bei uns in Deutschland bekannt ist, so ist doch der Zeitpunkt nicht mehr fern, an dem auch seine Werke ihren Weg in das deutsche Haus und den deutschen Konzertsaal finden werden. Aus ihnen spricht einer unserer besten Auslandsdeutschen.“

In einem der nächsten Hefte des Jahres 1933 wird in der Rubrik Aus dem Musikleben mitgeteilt, dass Kapellmeister Florenz Werner aus Reichenhall Paul Richters 3. Sinfonie zur Aufführung angenommen habe. Noch im selben Jahr wird Paul Richter in Dresden zum Ehrenvorsitzenden der „Auslandsdeutschen Musikgesellschaft“ ernannt.

Im 6. Heft wurde für den „Siebenbürgischen Abend“ geworben, der am 10. Mai 1933 um 20 Uhr im Konzertsaal des städtischen Ausstellungs-Palastes in Dresden unter der Schutzherrschaft des Ministerpräsidenten von Killinger stattfinden sollte. Das Konzert begann mit der Siebenbürgischen Hymne von Johann Hedwig (1730-1799), gefolgt von Vokal- und Instrumentalmusik von Rudolf Lassel, Arthur Stubbe, Berta Bock und natürlich auch von Paul Richter, von diesem die Festliche Ouvertüre („reichsdeutsche Uraufführung“) und zum Schluss die Karpathische Suite für Orchester. Dazwischen wurden Volks- und Liebeslieder aus Siebenbürgen vorgetragen wie auch ein siebenbürgisches Marienlied aus dem Jahre 1394. Neben Musikern aus Dresden und Berlin wirkte auch die Konzertsängerin Traute Lienert-Klein (1912-1971) mit. Diese kam im siebenbürgischen Brenndorf zur Welt und hatte ab 1929 in Berlin bei der ebenfalls aus Siebenbürgen stammenden Lula Mysz-Gmeiner (1876-1948) studiert. In einer Rezension wurde der Erfolg Paul Richters bei diesem Konzert hervorgehoben: „Den Haupterfolg des Abends aber hatte Paul Richter, der mit seiner ‚Festouverture’, die bei dieser Gelegenheit zur reichsdeutschen Uraufführung kam, und seiner in Dresden schon bekannten ‚Karpathischen Suite’ zu Worte gelangte. Die Festouverture zeigt Richter als einen modern empfindenden Meister, der es versteht, den Geist unserer Zeit mit dem handwerklichen Können der Vorkriegszeit restlos zu einen. Die Aufführung seiner Werke und der Orchesterbegleitung durch die Kapelle des 10. Infanterie-Regiments unter der hervorragenden Leitung von Obermusikmeister Hermann Thiele ließ keinen berechtigten Wunsch unerfüllt.“

Anlässlich der Gründungsfeier der „Akademischen Architekten-Vereinigung“ in Dresden wurde u. a. Richters Klaviertrio aufgeführt, und am 21. Juni 1933 trug Konzertsängerin Eva Schubert im Dresdner Studentenhaus Lieder von Berta Bock, Artur Stubbe und Paul Richter vor. Gleich auf der nächsten Seite dieses Heftes wird für die 3. Sinfonie Paul Richters geworben, die bei Simrock in Leipzig erschienen war: „Eine viersätzige Symphonie mit gesunden roten Backen, Musik im besten Sinne des Wortes,- so urteilt die Presse über die III. Symphonie in g-Moll des bekannten siebenbürgischen Komponisten.“

Bereits am 20. Oktober 1933 wurde im Dresdner Gewerbehaus erneut Paul Richters Festliches Vorspiel im Rahmen eines „Auslandsdeutschen Abends“ aufgeführt. Veranstaltet wurde dieses Konzert von der „Auslandsdeutschen Musikgesellschaft“ und dem „Bund der Auslandsdeutschen“. Seitens der Musikgesellschaft ergriff Erich H. Müller das Wort.

Im elften Heft des ersten Jahrgangs begann gleich auf der Titelseite die autobiographische Skizze von Paul Richter, Aus meinem Leben. Der Autor beginnt: „Zu meiner Zeit wurde jedem Jungen, der auf die Hochschule zog, als elftes Gebot die Liebe und das Pflichtgefühl für die Heimat und Volk mitgegeben. Es galt für selbstverständlich und ehrenhaft, nach Einsammlung von möglichst viel und vielseitigem Wissen in die Heimat zurückzukehren, dem Volk zu dienen und so das gefahrvolle Abbröckeln von Volksgenossen zu verhüten. [...] So stark aber war, wie bei fast allen Altersgenossen, meine Liebe für Volk und Heimat ausgeprägt, daß ich mich für die Heimat entschied. [...] Heute, nach vielen Jahren, weiß ich, daß ich damals den falschen Weg ging.“

Am 27. November 1933 fand im Saal der Kaufmannschaft zu Dresden ein Paul-Richter-Konzert statt. Aufgeführt wurden die Phantasie über siebenbürgisch-sächsische Volkslieder für Orchester, Sechs Lieder nach Worten chinesischer Dichter für Frauenstimme und Orchester und die Serenade in D-Dur für Orchester; Solistin war Konzertsängerin Traute Lienert aus Kronstadt, es dirigierte wieder Hermann Thiele.

Die Deutsche Musik brachte im ersten Heft des zweiten Jahrgangs die Nachricht, dass Richter im Dezemberkonzert der „Kronstädter Philharmonischen Gesellschaft“ Carl Maria von Webers Euryanthe-Ouvertüre und das Violinkonzert Ludwig van Beethovens mit Willy Teutsch als Solist geleitet hatte. Im nächsten Konzert führte man Richard Wagners Rienzi-Ouvertüre auf, dann Franz Liszts Rumänische Rhapsodie und das Es-Dur-Klavierkonzert sowie Richters Karpathische Suite. Das zweite Konzert dieses Jahres bestand aus der Passacaglia Johann Sebastian Bachs in einer Orchestration von Paul Richter selbst, dem Violoncello-Konzert von Joseph Haydn und der Es-Dur-Sinfonie Wolfgang Amadeus Mozarts.

Richter nahm sich als Dirigent auch der zeitgenössischen Musik an. So wurde in einem Heft der Deutschen Musik des Jahres 1934 bekannt gegeben: „Generalmusikdirektor Professor Paul Richter nahm die Orchesterszene ‚Der tanzende Derwisch’ des Wiener Komponisten Viktor Junk zur rumänischen Uraufführung an.“ Im selben Jahr führte das Philharmonische Orchester in Chemnitz unter der Leitung von Bruno C. Schestak Richters Deutsches Vorspiel auf.

Wilhelm Schönherr, der eine Zeit lang in Hermannstadt als Dirigent tätig war, leitete Mitte 1934 im Deutschlandsender ein Konzert in der Reihe „Auslandsdeutsche Komponisten schildern ihre Heimat“; u. a. wurde auch Richters Phantasie über siebenbürgisch-sächsische Volkslieder aufgeführt. Einige Tage später brachte der Reichssender Breslau in der Folge Deutsche im Ausland hört zu den Festmarsch Richters, ebenfalls dirigiert von Wilhelm Schönherr. Richter wurde nach Schönherr zum Dirigenten des Musikvereins „Hermania“ in Hermannstadt genannt.

Im 185. Todesjahr Bachs fand das 1. Siebenbürgische Bach-Fest statt, das in Kronstadt vom Bach-Chor der Schwarzen Kirche, dem Honterus-Schülerchor und der Philharmonischen Gesellschaft veranstaltet wurde. Victor Bickerich dirigierte die Deutsche Messe von Heinrich Schütz und Bachs Matthäuspassion. Richter wiederum dirigierte das Brandenburgische Konzert Nr. 5, das Klavierkonzert d-Moll, das Doppelkonzert für zwei Violinen und Orchester und die Suite in D-Dur. Solisten waren Ana Voileanu-Nicoara (Klavier), Josef Fehnl (Flöte), Willy Teutsch und Samuel Biemel (Violine). Einige Wochen später wurde Richter zum Ehrendirigenten der „Kronstädter Philharmonischen Gesellschaft“ ernannt.

Im Sommer des Jahres 1935 wurde Paul Richter anlässlich seines 60. Geburtstags von der Deutschen Musik geehrt, indem sein Porträt auf der Titelseite veröffentlicht wurde. Darunter stand geschrieben: „Generalmusikdirektor Professor Paul Richter, der bedeutende auslandsdeutsche Komponist, einer der Vorkämpfer für die deutsche Musik in Rumänien, Ehrenvorsitzender der Auslandsdeutschen Musikgesellschaft und Dirigent des Musikvereins Hermania in Hermannstadt (Siebenbürgen), feiert am 28. August seinen 60. Geburtstag.“

Die eigentliche Widmung seitens der Deutschen Musik folgte erst im Doppelheft 10/11 des Jahres 1935. Auf der Titelseite erschien das Porträt Richters nach dem Gemälde des Kronstädters Hans Eder, betitelt Zur Paul Richter-Feier in Kronstadt. Dies fand am 16.-17. November 1935 gleichzeitig mit dem 100-jährigen Jubiläum der „Kronstädter Philharmonischen Gesellschaft“ statt. Zum Beginn erklang die Festliche Ouvertüre, „einem glanzvollen, auf pompöse Wirkungen gestellten Stück, das dem Hörer keine Probleme bietet.“ Diesem folgte Richters Konzert für Klavier und Orchester, das – wie die Münchner Neuesten Nachrichten schrieben – zu „den besten seit Brahms“ gehöre. Zum Schluss des Konzertes erklang die 3. Sinfonie Richters in g-Moll. Im Kammerkonzert wurden Richters Sonate Nr. 1 für Violine und Klavier, ein Werk, das erst 1935 entstanden ist, und das Streichquartett Nr. 1, c-Moll aufgeführt.

 

Hermannstadt und Dressler

 

Da die Deutsche Musik gleichzeitig als Mitteilungsblatt der Heinrich-Schütz-Gesellschaft diente, werden darin zahlreiche Aufführungen der Werke dieses kürzlich wiederentdeckten Komponisten angekündigt. In Hermannstadt brachten im Frühjahr des Jahrs 1933 die beiden Kronstädter Sängerinnen Aenne Bickerich und Medi Fabritius Zwiegesänge des Komponisten zu Gehör. Im Zentrum der Berichte über das Hermannstädter Musikleben stand natürlich Professor Franz Xaver Dressler, dieser Straube-Schüler, der, 1898 im böhmischen Aussig (tschech. Ústi nad Labem) geboren, in Hermannstadt zum evangelischen Stadtorganisten ernannt wurde. Hier wirkte er über mehrere Jahrzehnte besonders erfolgreich, gründete den Brukenthalchor, bestehend aus Knaben des deutschen Gymnasiums, wie auch den Hermannstädter Bach-Chor, den es auch heute noch gibt. Er starb 1981 in Regensburg.

Mit dem Brukenthalchor unternahm Dressler 1935 eine Konzertreise durch Nordsiebenbürgen und trat in Großschogen (rumän. Şieu), Sächsisch-Regen (rumän. Reghin), Bistritz (rumän. Bistriţa) wie auch in der Bukowina – in Czernowitz (ukrain. Černovcy), Radautz (rumän. Radauţi) und Kimpolung (rumän. Câmpulung Moldovenesc) auf. Der gleiche Chor führte im Sommer des Jahres 1933 den Festgesang Jauchzet Gott alle Lande von Heinrich Schütz auf.

Dressler dirigierte 1934 ein Konzert des Hermannstädter Bach-Chores mit Uraufführungen des siebenbürgischen Komponisten Gerhard Schuster (1862-1943): das geistliche Konzert für achtstimmigen Doppelchor, Tenorsolo und Orgel Unser Leben währet siebzig Jahre, Introduction und Passacaglia für Orgel und eine achtstimmige Hymne Die Liebe, nach Worten Friedrich Wilhelm Schusters.

Bekanntlich ging der Brukenthalchor unter der Leitung Dresslers nicht nur im Inland auf Konzertreisen. Im Jahre 1934 trat dieser Knabenchor in mehreren deutschen Großstädten auf.

Dass die Musikkultur Hermannstadts nicht nur von Deutschen bestimmt wurde, beweist ein Bericht über die Aufführung von Beethovens Neunter Sinfonie durch die verstärkte Stadtkapelle und den Schülerchor des rumänischen Gymnasiums unter der Leitung des Musikprofessors I. Delu. Anwesend war auch der Generalinspektor des rumänischen Musikwesens, Professor George Breazul.

 

Kronstadt und Bickerich

 

Eine der interessantesten Nachrichten aus Kronstadt war die Übertragung von Bachs Matthäuspassion aus der Schwarzen Kirche durch den Bukarester Sender. Es wirkten mit der Bach-Chor, der Honterus-Chor (Schülerkirchenchor), das städtische Orchester und Solisten. Die Leitung hatte Stadtkantor Victor Bickerich (1895 Posen–1964 Kronstadt). Dieser kam nach seinen kirchenmusikalischen Studien in Berlin 1921 nach Kronstadt als Nachfolger des Stadtkantors Rudolf Lassel.

Victor Bickerich war auch maßgebend, gemeinsam mit Paul Richter, am Gelingen des 1. Siebenbürgischen Bach-Festes beteiligt. Er führte mit seinem Kronstädter Bach-Chor und dem Honterus-Chor Bachs Matthäuspassion und die Deutsche Messe von Heinrich Schütz auf.

 

Rudolf Wagner-Régenys Oper Der Günstling

 

Im Jahre 1935 tauchte ein neuer Name in den Berichten der Zeitschrift auf: der des Komponisten Rudolf Wagnes-Régenys (1903 Sächsisch-Regen-1969 Berlin). Wie Paul Richter seine Autobiographie für dieses Blatt verfasst hat, so sendet nun Wagner-Régeny seine Aufzeichnungen unter dem Titel Aus meinem Leben ein. Er kam 1903 in Sächsisch-Regen zur Welt, weshalb er sich den Namen seines Geburtsortes später in seinen Namen einfügt. Seine Kindheit verbrachte er hier und in Schäßburg, wo er das Gymnasium besuchte. Über seine ersten kompositorischen Versuche in Siebenbürgen schreibt Wagner-Régeny: „Hatte ich schon öfters versucht, Ländler, Liedchen und Menuette zu schreiben, indem ich die Takte eines Mozartschen Menuettes abzählte, die Taktstriche auf ein Notenblatt übertrug, um es auf meine Weise dann auszufüllen, so erwachte nun mein großer Wunsch, für unseren Kirchenchor und die Orgel Musik zu schreiben. Zahllose Versuche entmutigten mich, weil ich das Geheimnis eines guten Satzes nicht finden konnte. In den Sommerferien 1919 gelang es mir endlich, etwas halbwegs Mögliches für gemischten Chor, Soli, Streicher und Orgel aufzuschreiben, und ich konnte dieses Stück auch einstudieren und aufführen. Ein großer Rosenstrauß eines kleinen Schulmädchens beglückte mich über alle Maßen.“.

Nach einigen biographischen Daten sprach er auch die Entstehung seiner Oper Der Günstling an. 1931 begann er daran zu arbeiten, und am 20. Februar 1935 erlebte er die Uraufführung seines Werkes in der Dresdner Staatsoper. Seine autobiographischen Angaben sind eigentlich schüchtern niedergeschrieben, keineswegs vertieft wie jene des lebenserfahrenen Paul Richter, war doch der Komponist kaum 32 Jahre alt. Erich Hermann Müller schrieb dazu eine Analyse der Oper, ging dabei auf das Libretto, die Musik, den Komponisten und natürlich auch auf die Interpreten ein. Der Dirigent der Uraufführung war kein Geringerer als Karl Böhm. Schon die ersten Sätze seiner Rezension verdeutlichen die Inanspruchnahme des Wirkens auslandsdeutscher Komponisten, um deren Werk für nazideutsche Ideologie und Politik zu benutzen: „Wie an dem Neubau des Deutschen Reiches Männer des Auslandsdeutschtums in erster Linie mitarbeiten, so scheint es uns, als werde auch der Neubau der von allen Ismen zerfaserten und zerfetzten Kunst durch die noch bodenständigen und reinblütigen Schaffenden des Auslandsdeutschtums eingeleitet. Als einen wertvollen Baustein darf man dazu – neben der Symphonik Paul Richters, Kronstadt, die Oper „Der Günstling“ von Rudolf Wagner aus Sächsisch-Regen (daher Régeny!) ansehen.“

Klar und deutlich kommt damit zum Ausdruck, wie leicht Kunst und Musik zum Spielball politischen Kalküls werden kann. Erstaunlich, dass gerade Müller von allerlei „Ismen“ spricht, die die Kunst zerfasern und zersetzen, den eigenen „Ismus“ aber als gerechtfertigt ansieht. Zum Schluss gibt der Autor noch bekannt, dass die Oper in der nächsten Zeit auf den Bühnen in Duisburg, Mannheim, Halle, Gera, Pressburg (slowak. Bratislava) und Zürich aufgeführt und dem „siebenbürgischen Komponisten Rudolf Wagner-Régeny zu der ihm gebührenden hohen Anerkennung verhelfen“ werde.

Bereits in den nächsten Nummern dieser Zeitschrift wurde angekündigt, dass die Oper am 26. März in Halle unter der Leitung des Kapellmeisters Bruno Vondenhoff zur Aufführung gelange. Auch am Stadttheater in Duisburg erlangte diese Oper unter der Leitung von Dirigent Paul Drach einen riesigen Erfolg, es gab 35 Hervorrufe, und das Haus war ausverkauft.

Seine Oper Der Günstling wurde 1935 am Deutschen Landestheater in Hermannstadt für eine rumänische Erstaufführung angenommen. Schon in einem der nächsten Hefte der Zeitschrift gab man die Erstaufführung in Hermannstadt bekannt. In Anwesenheit des Komponisten hatte die Oper auch hier einen herausragenden Erfolg; die Leitung hatte Karl Egon Glückselig inne. Der Rezensent schreibt: „Dieser junge Künstler hat mit dieser Aufführung bewiesen, daß er grundmusikalisch ist und über sämtliche Fähigkeiten eines Orchesterdirigenten verfügt.“

 

Berichte aus anderen südosteuropäischen Regionen

 

In der oberstädtischen Pfarrkirche der Stadt Essek (kroat. Osijek) in Kroatien baute die „deutsche“ Firma Mauracher das größte Orgelwerk des Landes mit 62 Registern und 4.201 Pfeifen auf drei Manualen und Pedal. In der gleichen Rubrik ist zu lesen: „Der Weißkirchner Deutsche Männergesangverein hielt seine 79. Jahreshauptversammlung ab.“ In Neusatz (serb. Novi Sad) interpretierte der „Deutsche Sängerbund in Südslawien“ im Jahre 1933 das Oratorium Die heilige Elisabeth von Joseph Haas unter der Leitung von Peter Freund.

In der Zeit der Intensivierung nationalistischer Veranstaltungen auch in den Reihen der deutschen Minderheiten in Rumänien, Jugoslawien und Ungarn, in den 1930er Jahren, kam es öfter zu Auseinandersetzungen mit den örtlichen Behörden. So geschah es z. B. den Berichten dieser Zeitschrift nach in der Gemeinde Magotsch (ungar. Mágocs, Komitat Baranya, Ungarn): „Der Musikwettstreit, den der Ungarländische Deutsche Volksbildungsverein alljährlich veranstaltet, wurde nach vorheriger polizeibehördlicher Erlaubnis durch den zuständigen Oberstuhlrichter verboten.“

In Budapest wurde im Jahre 1933, als Erinnerung an ein Konzert Richard Wagners im Jahre 1875, am Hotel „Hungaria“ eine Gedenktafel angebracht.

Im Dom zu Großwardein (rumän. Oradea) gab Franz Xaver Dressler 1934 ein Orgelkonzert, bestehend aus Werken für Orgel und Orchester und solistischen Einlagen von Bach, Händel, Mozart und Joseph Rheinberger.

In Schäßburg wurde in einem Konzert die Trio-Phantasie von Joseph Marx zum ersten Mal in Rumänien aufgeführt; Interpreten waren Ria Müller-Löwitsch (Violine), Hans Hornung (Violoncello) und Karl Albert (Klavier).

In einem anderen Artikel aus dem Jahre 1935 wird von der erfolgreichen Arbeit des Leiters des „Klausenburger Deutschen Männerchores“, George Bachner (1891-1959), berichtet. Anlässlich des vierten Stiftungsfestes fand im Festsaal des Piaristen-Lyzeums ein Konzert dieses Klausenburger Chores unter seiner Leitung statt. Der siebenbürgische Komponist George Bachner stand auch im Mittelpunkt eines Artikels, der von Otto Rolf Schubert verfasst wurde. Bachner kam 1894 im siebenbürgischen Petersdorf (bei Bistritz) (rumän. Petriş) zur Welt. Seine Musikstudien machte er zuerst in Bistritz. Nach dem Ersten Weltkrieg war er in Klausenburg an der ungarischen Oper tätig. Nach einer fünfjährigen Tätigkeit in Argentinien (Buenos Aires), wo er auch mehrere Chöre leitete, kehrte er nach Siebenbürgen zurück und wirkte seither an der Klausenburger Staatsoper. Ab 1930 leitete Bachner auch den von ihm gegründeten Klausenburger Männergesangverein. Er schrieb zahlreiche Lieder auf deutsche, ungarische und rumänische Texte. Sein Ave Maria für Tenor und Klavier wurde in einem Konzert des „Deutsch-österreichischen Autorenverbandes“ in Wien erfolgreich aufgeführt.

In einem der letzten Hefte dieser Zeitschrift wurde der Czernowitzer Komponist Richard Brodkorb vorgestellt. Dieser kam 1899 zur Welt, erhielt in der Czernowitzer Musikvereinsschule Violin-, Violoncello- und Flötenunterricht. 1920-1922 besuchte er das Musikhistorische Seminar an der Wiener Universität und legte 1926 an der Wiener Musikakademie die Kompositions- und Chormeisterprüfung ab. Danach war er in seiner Heimatstadt als Klavier- und Orgellehrer tätig. Er wirkte gleichzeitig auch als Organist an der Kirche. Ab 1932 leitete Brodkorb den „Czernowitzer Deutschen Männergesangverein“ und auch den deutschen Frauensingverein. Zu seinen Kompositionen zählen Lieder, eine Klaviersonate in e-Moll, ein Rondo capriccioso für Klavier, das durch Vermittlung der „Auslandsdeutschen Musikgesellschaft“ in der Musikalischen Fundgrube erschienen ist, ein Streichquartett in c-Moll, das im Jahre 1932 mit dem „M. R. v. Anhauch-Preis“ für Komponisten aus Rumänien preisgekrönt wurde, Frauenchöre, 50 Stücke für Oboe und Klavier, zwei Messen, geistliche Lieder und Choralfantasien für Orgel.

Oft standen auch Berichte über deutsche Chöre in Süd- und Nordamerika im Mittelpunkt der Berichterstattungen. So feierte man vom 16. bis 18. November 1935 in Philadelphia (USA) das 100-jährige Jubiläum des „Deutschen Männerchores“. Der dortige Banater Männerchor feierte gleichzeitig sein 25-jähriges Bestehen.

Die Musikzeitung brachte natürlich auch viele andere Berichte über deutsche Musiktraditionen, deutsche Musiker oder Aufführungen von Werken deutscher Komponisten im Ausland. Diese reichten von Australien bis Amerika und von Sibirien bis Südafrika. Die Berichte wurden meist unkommentiert publiziert, oft sind es die Worte der Berichterstatter aus dem Ausland.

 

Berta Bock und Die Pfingstkrone

 

Der Herausgeber der Zeitschrift widmete mehrere Berichte der siebenbürgisch-sächsischen Komponistin Berta Bock (1857 Hermannstadt–1945 Hermannstadt), so auch über die Aufführung von deren Volksoper Die Pfingstkrone. Müller schreibt dazu: „Die Gabe musikalischen Schöpfertums scheint der Frau im allgemeinen versagt zu sein. [...] Berta Bock singt, wie ihr Siebenbürger Sachsenvolk, unbekümmert um den Wechselfall der Mode. [...] Es ist ein Beweis für den unverbildeten Geschmack und die Reinheit unseres Auslandsdeutschtums, daß Berta Bocks Lieder, die seinem Urboden entsprossen sind, bei allen Auslandsdeutschen in der ganzen Welt erklingen und Freude spenden, von dieser seltenen, schöpferisch-begabten Frau Kunde geben.“ Daneben erschien auch ein Bild aus dem 3. Akt ihrer siebenbürgisch-sächsischen Volksoper Die Pfingstkrone.

Berta Bock war nicht die einzige siebenbürgische Musikerin, der diese Zeitschrift einige Zeilen gewidmet hat. Die Konzertpianistin Olga Wermescher-Zöllner, geb. 1900 in Sächsisch-Regen, kam bereits 1917 nach Dresden, wo sie am Konservatorium Klavier studierte. Seither wirkte sie in Deutschland und wollte „im kommenden Herbst“ zum ersten Mal einige Konzerte in mehreren Städten ihrer Heimat geben. Auch die Auftritte der Sängerin Helene Eßlinger im Mitteldeutschen Rundfunk wurden bekannt gegeben, so jener vom 15. Juni 1933 mit siebenbürgischen Volksliedern von Rudolf Lassel, Hermann Kirchner und Johann Hedwig. Berta Bock war auch als Pianistin tätig, so beim Konzert anlässlich der Luther-Feier in Elisabethstadt (Siebenbürgen) (rumän. Dumbrăveni) gemeinsam mit Buchala (Sopran) und Musikdirektor Schmidt (Violine).

Im Jahre 1935 wurde Die Pfingstkrone in Petersdorf anlässlich der Einweihung des neuerbauten evangelischen Gemeindehauses aufgeführt. Das Libretto verfasste Anna Schuller-Schullerus. Im Bericht heißt es: „Wegen seines außerordentlich wertvollen Gehaltes an echt sächsischem Brauchtum, an volkhafter Gesinnung und an musikalischem Motiven- und Melodienschatz haben die Verfasser über Anregung unseres Volkskundemeisters D. Adolf Schullerus auch eine erleichterte, vereinfachte Bearbeitung des Werkes herausgebracht, um es auch größeren und kleineren Landbühnen zugänglich zu machen. Die Petersdorfer Aufführung stützte sich ebenfalls auf diese Ausgabe. Das Wagnis, in einer Landgemeinde diese Oper aufzuführen, ist in diesem Falle um so bemerkenswerter, als, sowohl auf der Bühne, als auch im Orchester, nur Petersdorfer mitwirkten.“

 

Arthur Stubbe in Siebenbürgen

 

Der umfangreiche Bericht über Arthur Stubbe (1866 Berlin-1938 Hermannstadt) wurde von Professor Karl Egon Glückselig aus Bukarest verfasst. In der Person des Arthur Stubbe handelt es sich um einen Musiker, der, in Berlin-Köpenick geboren, bereits 1911 die Stelle des Leiters des Hermannstädter Männergesangvereins übernahm. Er galt als einer der bekanntesten Komponisten für Männerchor jener Zeit. Der Autor eines entsprechenden Artikels in der Zeitschrift Deutsche Musik stellt zum Beginn die Kontinuität der Beziehungen zwischen Siebenbürgen und Deutschland dar, schildert die Tatsache, dass viele der in Siebenbürgen tätigen Musiker ihre Studien in Deutschland beendet hatten und dass umgekehrt oft anerkannte Musiker Deutschlands an die Spitze verschiedener siebenbürgisch-sächsischer Musikvereine gewählt wurden: „Der geistige Kontakt, der die siebenbürger Sachsen immer mit ihrem Mutterland verbunden hat und jetzt noch, stärker denn je, verbindet, ist besonders auf dem Gebiete der Musik ein überaus enger und natürlicher gewesen.“

Stubbe wurde 1918 der Titel eines Königlich Preußischen Musikdirektors verliehen, 1925 erhielt er die Auszeichnung „Ritter des Rumänischen Kronenordens“ und war Ehrenmitglied der Akademie zu Florenz.

Am 21. Juni 1933 sang die Konzertsängerin Eva Schubert im Dresdner Studentenhaus u. a. auch Lieder von Arthur Stubbe, Berta Bock und Paul Richter. Der Stuttgarter Rundfunk übertrug im Jahre 1935 ein zweites Konzert mit Werken von Stubbe; auf dem Programm standen die Sonate, op. 54, und die Miniaturen, op. 30, für Violine und Klavier.

Stubbe widmete 1932 dem 1927 gegründeten „Schubert-Liederkranz“ in Temeswar (rumän. Timişoara) drei Männerchöre unter dem Titel Dem Schubert-Liederkranz Temeschburg und seinem Leiter H. Anton Titz zu eigen. Arthur Stubbe. Es handelt sich um folgende Chöre: Auf Goethes Spuren (Text: Emil Sindel), Drei (Text: Wilhelm von Hannenheim), Sonnwend! Zeitwend! Sonnwend! (Text: Felmy). Der letztgenannte Chor, „markig und feurig“ vorzutragen, ist ein martialisches, kämpferisches und kriegsbrünstiges Stück, dessen Text ganz getreu nach den ideologischen Richtlinien der nationalsozialistischen Führung in Berlin geschrieben wurde:

„Heilige Flamme deutscher Sitte, lohe empor!

Wenn wir die glühende Glut durchspringen, glühe den Segen, lohe empor!

Eisernes Mühen wollen wir setzen, dass wir das Schicksal für uns zwingen,

dass ein großes heiliges Heimatland blühe empor!

Heilige Flamme reinen Herzens, steige empor!

Brenne in uns, dass nimmer erlösche Trotz und Treue, lohe empor!“

Zu einer Aufführung dieses Männerchores durch den Temeswarer „Schubert-Liederkranz“ ist es aber nie gekommen.

 

Der Fall Schönherr

 

Im Jahre 1934 leitete Dr. Wilhelm Schönherr die Aufführung von Joseph Haydns Schöpfung durch den Musikverein und den Männerchor „Hermania“ in Hermannstadt. Die Solopartien sangen Prof. Gustav Borger, Dr. Alfred Witting und Hilde Knäb-Kolbe. Nur kurze Zeit danach schlug eine Meldung wie ein Blitz aus heiterem Himmel ein: „gestern vormittag wurde Musikdirektor Dr. Schönherr auf der Straße von zwei Sigurantza-Beamten angehalten und zur Sicherheitspolizei geführt, wo ihm mitgetilt wurde, daß er aus Rumänien ausgewiesen sei und mit dem nächsten Zug die Stadt und das Land verlassen müsse. [...] Dr. Schönherr wurde unter Bedeckung zum Bahnhof geführt und in den Zug gesetzt, ohne daß es ihm gestattet worden wäre, mit irgend jemanden in Hermannstadt über den Vorfall zu sprechen.“

Das Siebenbürgisch-Deutsche Tageblatt brachte diese Nachricht mit der Überschrift Ein unbegreiflicher Willkürakt. Sie wurde in der Deutschen Musik nachgedruckt. Dem Abgeordneten Dr. Hans Otto Roth gelang es noch am gleichen Nachmittag, die Zurückziehung der Ausweisung in Bukarest zu erreichen. Es wurde ein Telegramm an die Grenzstation gesendet und ein Auto dem Ausgewiesenen nach Teius nachgesandt, doch all dies kam zu spät. Minister Titeanu versprach, dieser Sache nachzugehen, doch die ganze Angelegenheit versiegte wie im Sande.

Bereits seit dem Jahre 1931 lag eine Ausweisungsverfügung der Regierung vor, drei verschiedene Regierungen hatten diese immer wieder suspendiert, und nun wurde plötzlich diese Ausweisung auf offener Straße vollzogen. Für die Musikwelt Hermannstadts war dies natürlich ein großer Schlag, da man dadurch den Theaterkapellmeister und Leiter mehrerer Musikvereine und Chöre verlor. Das Siebenbürgisch-Sächsische Tageblatt schrieb dazu: „Es ist nicht eine persönliche Angelegenheit, um die es hier geht, sondern eine grundsätzliche Kulturfrage. Nach den übereinstimmenden Urteilen auch der maßgebenden rumänischen Fachleute hat sich Dr. Wilhelm Schönherr bleibende Verdienste um die Höherentwicklung von Kunst und Musik in unserem Lande erworben. Unter seiner Führung hat das Musikleben Hermannstadts eine nie dagewesene Höhe erreicht. [...] Das Schicksal solcher Kulturfaktoren kann unserem Lande nicht gleichgültig sein. [...] Es ist nicht zu begreifen, dass ein Bürger des befreundeten österreichischen Staates, der sich niemals irgendwie politisch betätigt hat, und von dem uns nicht die geringste gesetzwidrige Handlung bekannt ist, einer derartigen Behandlung ausgesetzt wird“.

Dr. Schönherr kam 1902 in Marburg (Steiermark) (slowen. Maribor) zur Welt, war als Theaterkapellmeister in Bad Hall und Iglau-Znaim (tschech. Jihlava bzw. Znojmo), am Theater an der Wien und am Wiener Stadttheater tätig. Seit 1929 wirkte er als städtischer Musikdirektor in Hermannstadt, wo er den Gesangverein „Hermania“ leitete, den Musikverein und später auch den Verein jüngerer Gewerbetreibender. Er war in Hermannstadt auch als Kapellmeister des Deutschen Landestheaters tätig.

 

Schlussfolgerungen

 

Die nationalistische Sichtweise dieser Zeitschrift entspricht größtenteils den damaligen Anforderungen der Politik des Deutschen Reichs. In den meisten der darin publizierten wissenschaftlichen Arbeiten hingegen bleibt man auf dem Boden der Forschung, ohne tendenziöse Schlüsse zu ziehen. Der Herausgeber stellt in den Mittelpunkt seiner Arbeit die Musikkultur der Siebenbürger Sachsen, also der Deutschen Transsilvaniens, ohne aber den Wert der rumänischen oder ungarischen Musikkultur zu diminuieren. Er spricht sogar von einer Wechselbeziehung im Bereich der Volksmusik. Antisemitische Themen werden entweder gar nicht angesprochen oder nur solche Zitate aus anderen Zeitungen gebracht. Diese bleiben meist unkommentiert.

Natürlich ist die Sichtweise dieser Zeitschrift sehr einseitig und mit unseren objektiven heutigen Maßstäben nicht zu vergleichen. Dies betrifft besonders das nationale Element und das „rein Deutsche“ in der Musikkultur dieser südosteuropäischen Regionen. Andererseits aber besteht heute wiederum die Gefahr, dass wir – selbst was Siebenbürgen und das Banat anbelangt – in das andere Extrem fallen und diese Kulturräume nur mehr „bunt gemischt“ sehen, so wie man sich den Balkan in Westeuropa fälschlicherweise oft vorstellt: als ein Konglomerat von Kulturen, als ein Schmelztiegel von Nationen. Und das ist in seiner Pauschalität falsch. All diese Kulturen hatten ihre geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze, man wusste, wie weit man sich annähern durfte. Das bunte Bild der verschiedenen ethnischen Kulturen passt eher in den urbanen Bereich Südost- oder Mitteleuropas. Es gab viele deutsche Dorfgemeinschaften noch bis etwa 1980, sowohl im Banat als auch Siebenbürgen, in denen man nicht gerade von Interferenzen mit der rumänischen oder ungarischen Kultur sprechen kann.

Die Erforschung der deutschen Musiktraditionen in den südosteuropäischen Kulturlandschaften hat nur dann noch einen Sinn, wenn diese von einer – vorerst – regionalen Forschung gefolgt wird. Ich denke hier speziell an solche südosteuropäischen Regionen, die nach 1919 unter mehreren neu entstandenen Staaten aufgeteilt wurden, die aber eine historisch gewachsene Kulturlandschaft darstellen, z. B. die Bukowina, das Banat, die Batschka, die Moldau. Deren überaus reiche Kulturräume entstanden durch das Mitwirken aller Bewohner dieser Region, ohne Unterschied der Sprache. Erst durch das Neben- und Übereinanderlegen dieser verschiedensten Aspekte gelangt man zum wahren Bild dieser Kulturlandschaft. Und die Musik spielte schon immer einen verbindenden Faktor zwischen diesen Kulturen.

In den Staaten, in die die Generation der Vertriebenen und Aussiedler sich seit 1945 niedergelassen hat, wird das Interesse für die deutsche Kultur in Siebenbürgen oder im Banat mit dem Verschwinden der Erlebnisgeneration keine große Rolle mehr spielen. Dr. Alexander Krischan aus Wien sagte gelegentlich einer Kulturtagung überspitzt, dass bald die Banater schwäbische Kultur nur mehr wie eine ägyptische Mumie behandelt werden wird. Dieses Interesse ist biologisch bedingt und wird in weiter Zukunft, wenn überhaupt, nur noch im Bereich der Wissenschaft und der Historiographie eine Rolle spielen.

In den historischen Siedlungsgebieten wird hingegen diese Forschung – auch die Musikforschung – eine wichtige Rolle spielen. Diese Musikkultur, von der wir sprechen, ist hier entstanden, ihre Wurzeln haben die dafür nötigen Nährstoffe in vielen Jahrhunderten in diesen Räumen erhalten, diese Kulturen sind eng mit diesen Regionen verbunden. Durch die EU-Erweiterung in Richtung Südosten bestehen reelle Chancen für eine ehrliche Kulturforschung, auch im Bereich der hier lebenden Minderheitenkulturen. Dafür müssen aber noch durch die Gesetzgebung Bedingungen geschaffen werden, damit es nicht zu einer weiteren – und diesmal aber letzten – Emigration kommen kann.

Siebzig Jahre nach Erscheinen der Musikzeitschrift Deutsche Musik müssten endlich auch in Deutschland neue Ansätze gewagt werden, um die Musikkultur und Musikgeschichte dieser sterbenden südosteuropäischen deutschen Musiklandschaften objektiv, systematisch und zukunftsorientiert erforschen, dokumentieren und pflegen zu können.

 

Erschienen in:

Musikkultur und ethnische Vielfalt im Südosteuropa des 19. und 20. Jahrhunderts – Einflüsse deutscher Musik

Bericht über das Internationale musikwissenschaftliche Symposium Sibiu / Hermannstadt, 6.-9. September 2003

EDITION MUSIK SÜDOST, München 2007, Reihe: Südosteuropäische Musikhefte, Band 8, ISBN 978 3 939041 11 5

 

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