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E D I T I O N   M U S I K   S Ü D O S T

300 Jahre Kirchenmusik der Donauschwaben

Große Jubiläumskonzerte in Ulm und München

 

Musik der Donauschwaben im Ulmer Münster

 

Laut den Daten vieler Historiker wurden im Jahre 1712 die ersten deutschen Kolonisten in Sathmar und Südungarn angesiedelt. Grund genug, sich auch mit deren Kirchenmusik zu beschäftigen. So fand am Samstag, 12. Mai 2012 im Ulmer Münster ein großes Konzert statt mit dem Titel „Gestern & Heute. Aufbruch von Ulm der Donau entlang“, dargeboten vom Jugendchor der Münsterkantorei und Mitgliedern des Philharmonischen Orchesters Ulm unter der Leitung des Münsterkantors Friedemann Johannes Wieland. Im Programm standen Werke von Richard Waldemar Oschanitzky, Conrad Paul Wusching, Philipp Caudella und Carl Ditters von Dittersdorf. Teile der Missa Brevis von Wusching wurden auch beim ökumenischen Schwörgottesdienst im Ulmer Münster am 22. Juli 2012 aufgeführt.

 

Kirchenmusikalische Klänge aus dem Banat in der Wengenkirche

 

Anlässlich des Heimattreffens der Banater Schwaben zu Pfingsten, dem 26. Mai 2012 in Ulm, fand in der katholischen Kirche St. Michael zu den Wengen ein Konzert mit Kirchenmusik donauschwäbischer Komponisten statt. Weshalb gerade die Wengen-Kirche gewählt wurde: hier feierten viele der Aussiedler im 18. Jahrhundert ihre Gottesdienste und viele Paare wurden hier getraut. Diese L-förmige Kirche besteht heute aus einem alten und einem neuen Teil, der leider keine ideale Akustik für Konzerte bieten kann. Im Programm standen diesmal Werke von Johann Michael Haydn, Franz Limmer, Josef Wenzel Heller, Richard W. Oschanitzky, Wilhelm Schwach und Anton Leopold Herrmann. Das Konzert begann mit dem Lied „Sankt Gerhard, frommer Gottesmann“, komponiert von Hans Weisz und Paul Wittmann in Temeswar im Jahre 1947. Interpreten dieses Konzertes waren: Leonore Laabs (Sopran), Elena Vorobieva (Alto), Adrian Sandu (Tenor), Wilfried Michl (Bariton), Karl Wilhelm Agatsy (Violine) und Dr. Franz Metz (Orgel, Leitung). Dazwischen hat Pfarrer Robert Dürbach, stellvertretender Vorsitzender des Gerhardsforums Banater Schwaben e.V., Abschnitte aus Werken Adam Müller-Guttenbrunns vorgelesen. Veranstalter dieses Konzertes war die Landsmannschaft der Banater Schwaben und das Gerhardsforum.

 

Klassische und volkstümliche Kirchenmusik der Donauschwaben in München

 

Sonntag, 18. November 2012 fand in der Wallfahrtskirche Maria Ramersdorf, München, ein großes Konzert mit dem gleichen Titel statt. Diesmal waren außer den oben genannten Solisten auch die Sopranistin Cecilia Geréd und die Geigerin Hermina Szabo beteiligt. Der Kirchenchor und Banater Chor St. Pius, München, sang außerdem Werke von Guido von Pogatschnigg. Im Programm standen auch Werke von Giuseppe a Coupertino Schispiel, der um 1800 Domkapellmeister von Sathmar war, dann Werke von J. M. Haydn, Wusching, Limmer, Herrmann, Georg Müller und Oschanitzky. Es wurden aber nicht nur klassische Kirchenmusikwerke dargeboten, sondern auch Kirchenlieder komponiert von donauschwäbischen Kantoren, wie das Lied „Mit frohem Herzen will ich singen“ von Josef Schober und das Lied „Mutter der Heimatlosen“, komponiert 1947 von Martin Metz, in der Zeit der Russlanddeportation. Diese beiden Lieder wurden von Irmgard Müller und Siegfried Schreier gesungen. Die Kinder- und Jugendgruppe der Banater Tanzgruppe, München, sang zum Beginn das alte Weihnachtslied „Herbergsuche“, das im Banat bereits im 18. Jahrhundert bekannt war und das „Martinuslied“, das Martin Metz 1982 geschrieben hat. Dieses Kirchenlied wird heute in vielen Kirchen der Diözese Rottenburg-Stuttgart gesungen, da der hl. Martin der Diözesanpatron ist. Mitglieder der Banater Trachtengruppe, München, haben dazwischen Texte aus Werke Adam Müller-Guttenbrunns gelesen. Pfarrer Harald Wechselberger bedankte sich zum Schluss bei den Interpreten und bedankte sich auch bei den zahlreich erschienenen Landsleuten für ihr Kommen.

Diesmal

 

Ulm bedeutete im frühen 18. Jahrhundert für viele Menschen aus den süddeutschen Reichsgebieten das Tor zu einem neuen Leben: von hier aus starteten sie auf der Donau mit Hilfe der Ulmer Schachteln in Richtung Südungarn. Nach mehr als 150-jähriger osmanischer Besetzung Südosteuropas entstanden durch diese einmalige Kolonisation in der europäischen Geschichte blühende Kulturlandschaften im Ofner Bergland, in Branau, im Banat, in Sathmar, in der Batschka und in Syrmien. Durch die Folgen der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts gehören all diese Gebiete heute zu Ungarn, Rumänien Serbien und Kroatien.

Trotz des harten Schicksals der neuen deutschen Einwohner Südungarns – „Die Ersten hatten den Tod, die Zweiten die Not, die Dritten erst das Brot“ – war die Musik stets ihr treuer Begleiter in Freud und in Leid. Ob in Gottesdiensten, bei Andachten, zu Hause oder bei Festen und Feiern, stets wurde gerne gesungen und musiziert. Die guten Verdienstmöglichkeiten und die wirtschaftlichen Erfolge führten dazu, dass immer mehr Lehrer, Kantoren und Musiker sich im Banat oder in der Batschka niederließen. Besonders Anfang des 19. Jahrhunderts war dies der Fall, als zahlreiche Musiker und Instrumentenbauer aus Böhme in Richtung Südosten zogen, um sich dort einen besseren Lebensunterhalt für sich und ihre Familien sichern zu können.

Zu diesen böhmischen Musikern zählte auch Vaclav (Wenzel) Pichl (1741-1805), der 1765 als erster Geiger und Konzertmeister der Dommusik nach Großwardein kam und der gemeinsam mit dem damaligen Kapellmeister Karl Ditters (von Dittersdorf) die Musik dieser Bischofstadt zum Erblühen gebracht hatte. Zu den Musikern die aus Böhmen und Mähren in den Südosten kamen zählt auch Philipp Caudella (1771-1826) der sich in Siebenbürgen niedergelassen hat. Böhmisch klingt auch die Blasmusik der Donauschwaben. Bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts machten schwäbische Knabenkapellen aus dem Banat weltweit von sich reden, als sie auf ihren langen Konzerttourneen durch ganz Europa, Amerika und Afrika erfolgreich aufgetreten sind. Durch die Auswanderung nach Amerika gelangte ein Teil der Musiktradition der Donauschwaben auch auf diesen Kontinent. Dies belegen über 200 Schallplatten (Schellacks), die Anfang des 20. Jahrhunderts in Amerika produziert wurden.

Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden in fast allen donauschwäbischen Dörfern und in Städten Liedertafeln, Gesangvereine und Philharmonische Gesellschaften. Diese wurden nach dem Vorbild des Vereinslebens Deutschlands und Österreichs errichtet. Später werden nach deren Vorbild verschiedene rumänische, serbische, kroatische oder slowakische Gesangvereine entstehen. Einer der ersten Vereinsgründer war Conrad Paul Wusching (1827-1900), der sich 1849 in der Banater Musikstadt Lugosch niedergelassen und hier den Gesang- und Musikverein ins Leben gerufen hat. Er zählte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu den bedeutendsten Komponisten Ungarns, seine Werke wurden in Budapest, Wien, Leipzig, Lugosch und Temeswar verlegt.

All diese Komponisten haben etwas gemeinsam: durch ihre Migrationsgeschichte fühlt sich heute kein Staat für die Erforschung ihres Wirkens zuständig. Es ist das ähnliche Schicksal, wie die Musikkultur der vielen Millionen Vertriebenen und Flüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg.

Trotz Kommunismus, konnte sich auch nach 1945 in den donauschwäbischen Siedlungsgebieten die Musikkultur weiterentwickeln. Richard Waldemar Oschanitzky (1939-1979) war einer der bedeutendsten Jazzpianisten Südosteuropas. Nach seinem frühen Tod konnte man im Nachlass zahlreiche geistliche Werke entdecken, die zwar niemals erklingen durften, aber aus seiner tiefen christlichen Religiosität entstanden sind. So auch seine Sieben Gesänge um Wort, Licht und Heil, entstanden 1974-1976, deren Verse ebenfalls aus seiner Feder stammen. Erst in den letzten Jahren konnten einige dieser Werke verlegt und aufgeführt werden.

Die Musik der Donauschwaben ist auch zum Beginn des 21. Jahrhunderts noch lebendig. So erklingen in katholischen und evangelischen Gotteshäuser des Banats und Ungarns heute noch die vertrauten deutschen Kirchenlieder, es gibt deutsche Gesangvereine und Kapellen. Besonders lebendig konnte sich die Musik der Donauschwaben nach 1945 auch in Deutschland entfalten, wo heute der größte Teil dieser jüngsten deutschen Volksgruppe lebt. Ihr musikkulturelles Erbe wird durch kirchliche und weltliche Chöre, Kapellen, Konzerte, Musikverlage und durch musikwissenschaftliche Forschungsarbeiten – meist aus privaten Mitteln ermöglicht – am Leben gehalten. Fast in allen philharmonischen Institutionen Deutschlands sind donauschwäbische Musiker in erster oder zweiter Generation vertreten. Obzwar in den deutschen Lehrbüchern und auf universitärer Ebene die Musik der Donauschwaben noch keinen Einzug gefunden hat, ist sie doch ein wichtiger Bestandteil der Kultur unseres Landes geworden. Und der Anfang war in Ulm vor 300 Jahren.

 

Der Chor der Banater Jugend, München, singt zwei geistliche Lieder

Wilfried Michl

Der Chor der Banater Kinder- und Jugendgruppe, München

Irdmgard Müller und Siegfried Schreier

 

Franz Metz an der Orgel der Wallfahrtskirche Maria Ramersdorf, München

Copyright © Dr. Franz Metz, München 2013

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