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Erstes Musical für Temeswar

Wilfried Michl stellt sein neues Banat-Musical in München vor

Von Dr. Franz Metz

Mitten auf der Bühne steht in ihrem ganzen Stolz die Pestsäule (fast schöner als ihr heutiges beschädigtes Original), rechts davon sieht man einige Prachtfassaden des Domplatzes, davor Temeswarer Bürger in ungarischen, rumänischen und banat-schwäbischen Trachten. Dazu eine von Temperament sprühende Musik mit allen Ethnoelementen dieser multiethnischen Region, vom Taragot über den Zambal bis hin zur schwäbischen Blechmusik. Fast wie in einem Zigeunerbaron des 21. Jahrhunderts geht’s hier auf der Bühne zu. Und das Publikum tobt.

An der Fachakademie für Sozialpädagogik in München wurde heuer das 17. Musical aus der Feder des aus dem Banat (Orzydorf) stammenden Musikers Wilfried Michl aufgeführt. Es hatte heuer die Besonderheit, dass es im Banater Raum im Jahr 1867 spielt. Nachdem die bisherigen Stücke schon auf der ganzen Welt von Mexiko bis Indien angesiedelt waren, wollte der Komponist einmal die Kulturlandschaft seiner alten Heimat einbringen.

Wilfried Michl hat Temeswar, wo er die Lenau-Schule besucht hat, mit seinen multinationalen Völkergruppen noch gut in Erinnerung. Das Theaterteam, dem neben Michl, seine Frau Gudrun Michl, der Regisseur Matthias Spengler und diesmal zwei ehemalige Studierende der Fachakademie und jahrelange Mitwirkende der bisherigen Produktionen Franziska Katzamaier und Frank Braun angehören, hat daraufhin eine Geschichte erfunden, die die  historischen Gegebenheiten der Zeit berücksichtigt.

Dem aufblühenden Wohlstand der Zeit setzt sich eine Gruppe Gesetzloser, die Betyaren entgegen, die reisende Handelsleute überfallen und die Gesellschaft in Angst und Schrecken versetzen. Sie werden von einer jungen Frau, Ilonka aufgestachelt, deren Eltern nach dem Aufstand von 1849 von den Habsburgern umgebracht wurden, was sie veranlasste auf blutige Rache zu sinnen. Ilonka manipuliert dabei die Betyaren mit ihren Karten. Alles was diese vorhersagen, wird strikt befolgt. Die Bürger von Temeswar beschließen darum nach Wien und Budapest zu schreiben um sich erstens von den Untaten zu distanzieren und um Hilfe in der Not zu bitten. Die Delegationen treffen in Temeswar  ein, aber durch Ilonkas Karten davon in Kenntnis gesetzt, sind auch die Betyaren verkleidet zur Stelle. Ilonka sagt dem österreichischen Gesandten Friedrich Ferdinand von Auersperg zum Entsetzen aller Anwesenden eine  schlimme Zukunft voraus, woraufhin dieser in einer Rede geschehenes Unrecht bedauert und seinen Wunsch äußert, dass alle Völkergruppen im ganzen Reich künftig friedlich miteinander leben sollten. Ohne es wahrhaben zu wollen verliebt sich Ilonka in den Rittmeister. Im nächtlichen Park (heute, der Rosenpark in Temeswar) verlangen darauf Pista, der Anführer der Betyaren, und ihre Freundin Marika, dass sie den Habsburger zu einem Treffen in den Park laden soll, wo sie ihn überwältigen wollen um dadurch einen Trumph gegen die österreichischen Besatzer zu haben. Der Plan wird aber von dem ungarischen Gesandten belauscht. Er beschließt einzugreifen, die Betyaren gefangen nehmen zu lassen und so einen Vorteil für sich heraus zu schlagen. In der kommenden Nacht treffen sich Ilonka und Friedrich Freiherr von Auersperg. Ilonka bereut im Laufe des Treffens zu spät, dass sie ihn in die Falle gelockt hat. Sie merkt, dass sie ihn liebt, will ihn noch warnen und beschützen, doch es ist bereits zu spät. Die Betyaren überfallen die beiden und nehmen von Auersperg gefangen. Ihre Siegesfreude währt allerdings nicht lange, denn auch die ungarischen Jäger sind zur Stelle. Die Widerstandskämpfer werden überwältigt und gefangen genommen. Die hinzukommende Bevölkerung von Temeswar ist froh und glücklich. Endlich wird Frieden und Wohlstand gesichert sein. Da kommt der Bote, der beim Kaiser in Wien war, zur Versammlung und gibt bekannt, dass es neue Entwicklungen gibt. Es kommt zu großen Zugeständnissen zwischen Österreich und Ungarn. Die Doppelmonarchie wird gegründet. Es wird ein gemeinsames Reich geben und somit umfassenden Frieden. Da ist der Jubel noch viel größer außer natürlich bei den Betyaren. Von der allgemeinen Freude bewegt, macht der Präfekt von Temeswar den Vorschlag, den Betyaren - auf Grund der neueren historischen Entwicklungen - eine Amnestie zu gewähren. Schließlich war die Bande nicht besonders erfolgreich. Nach kurzem Zögern stimmen die Parteien zu und einer allumfassenden Feier steht nichts mehr im Wege.

Die Musik will durch deutsche, rumänische und ungarische Motive das Multiethnische besonders in den Volksszenen einbringen. Man hat auch versucht durch ungarische, rumänische, „temeswarerische“ und schwäbische Sätze das Lokalkolorit einzufangen. Zwei der Darsteller sind gebürtige Ungarn und konnten die ungarischen Elemente betreuen. Eine Studierende ist in Hatzfeld geboren und hat die rumänischen Textstellen betreut. Herr Michl selber, der in Orzydorf aufgewachsen ist, hat versucht die schwäbischen Texte möglichst akzentfrei zu vermitteln. Die schlimmen Taten der Betyaren werden zu einer Drehorgel, für die eigens eine Stanze mit der dazu komponierten Musik angefertigt worden ist, singend erzählt. Dazu tanzt ein Bär. Als musikalischer Höhepunkt sind, um ein harmonisches Miteinander der Völkergruppen  zu versinnbildlichen, ein ungarisches, deutsches und rumänisches Motiv polyphon übereinandergelegt. Das heißt, sie erklingen zur gleichen Zeit, wie auch das Stück versöhnlich endet, quasi als Vorbild für das friedliche Zusammenleben in der späteren EU.

Zwei Allegorien, der Hass und die Zwietracht unterbrechen allerdings immer wieder die Szene und singen mit einer süßlichen Walzermelodie von ihrer Gewissheit, dass die Welt sich immer gleich dreht und es bald wieder Streit geben wird.

Das Musicalprojekt vereint jedes Jahr verschiedene Fächer an der Fachakademie. Neben der musikalischen Arbeit mit der Einstudierung der Gesangsstimmen, der Chorstellen, des Orchesters (heuer wieder in Kooperation mit der Städtischen Sing- und Musikschule, die von Karl Wilhelm Agatsy, einem gebürtigen Temeswarer vor einigen Jahren angeregt wurde, der auch die Streicher betreut), gestaltet die Werkabteilung das Bühnenbild und die Requisiten. Man hat dazu eingängig Ansichten Temeswars aus der Zeit studiert. In  den szenischen Proben wird das Stück auf die Bühne gebracht. Eine wichtige Rolle hat die Tontechnik, die dafür zuständig ist, dass die Darsteller verständlich sind und gut klingen, dass das Orchester angemessen eingemischt wird und die Lautstärkeverhältnisse stimmen. Andere Studierende kümmern sich um die Kostüme, die Maske, die Öffentlichkeitsarbeit, nehmen Platzreservierungen entgegen. Alles entsteht als eine große Teamarbeit an der Schule.

Schade nur, dass dieses Musical nicht auch in Temeswar selbst aufgeführt werden konnte. Vielleicht hätte man dadurch bei den heutigen Bürgern Temeswars ein wenig mehr Selbstbewusstsein und Interesse für eigene kulturelle Werte erwecken können. Aber was nicht ist, kann noch werden.

Das Musical ist in einem Livemitschnitt auch als DVD und CD erhältlich (E-Mail für Bestellungen: w.michl@mnet-mail.de). Die zwölf Vorstellungen waren sehr gut besucht, erfreulicherweise auch von vielen Banatern, die die Ankündigung in der Banater Post gelesen haben. In vielen Einrichtungen haben die Kinder noch Wochen später „Wir gehn nach Temeswar...“ gesungen und getanzt. Alle bisher an der Fachakademie produzierten Musicals sind auf der Homepage www.musical-geheimtipp.de ausgiebig mit Ton- Bild- und Videobeispielen dokumentiert.

 

Copyright © Dr. Franz Metz, München 2012

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