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E D I T I O N   M U S I K   S Ü D O S T

TORCELLANS MISSA SANCTI GERARDI.

DIE KIRCHENMUSIKALISCHEN BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEM BANAT UND ITALIEN

Dr. Franz Metz

 

Die Tabula Traiana an der Donau

Die geschichtlichen Beziehungen zwischen der historischen Region des Banats, gelegen zwischen den Flüssen Donau, Theiss, Marosch und den Westkarpaten und Rom sind mehr als 2.000 Jahre alt. Am südlichen Rand des Banats, der von der Donau begrenzt wird, finden wir ein steinernes Zeugnis dieser Zeit.

Die am rechten (serbischen) Ufer der Donau in Fels befestigte Tabula Traiana, ein riesiger Marmorblock, war unter dem römischen Kaiser Trajan im Jahre 100 n. Chr. anlässlich der Beendigung des Straßenbauabschnittes der römischen Straße (von den Donauquellen bei Donaueschingen bis Rumänien) von Golubac bis Kladovo in der unteren Schlucht der Donau angebracht worden.

1972 wurde bei den Bauarbeiten für das gemeinsame Kraftwerkprojekt am Eisernen Tor des damaligen Jugoslawien und Rumänien die Inschrift zusammen mit dem Felsen herausgemeiselt und auf ein höheres Niveau versetzt, um sie zu erhalten. Heute ist sie nur noch vom Wasser aus sichtbar. Der Wasserpegel erreicht seit der Errichtung des Staudamms fast den unteren Rand der Tafel, während die hier als Galerie ausgeführte „Trajan-Straße“ heute weit unter dem Wasserspiegel verläuft.

Die „Trajan-Straße“ von den Römern „via iuxtram danubii“ genannt, ist die östliche Verlängerung der schon um 45 n. Chr. gebauten römischen Militärstraße „Donau-Süd“ die von der „Donauquelle“ bei Donaueschingen zunächst nur bis Weltenburg in die Nähe von Regensburg führte. Trajan ließ die strategische Straße nach Osten verlängern, nachdem er den Donaudurchbruch, das so genannte Eiserne Tor als vorbereitende Maßnahme für die Kriege gegen die Daker erobert hatte. Dort hatte Kaiser Trajan für den Nachschub einen Donauhafen anlegen und eine steinerne Brücke über die Donau bauen lassen. Schon vor dem Bau war die Donauschlucht am Eisernen Tor so eng, dass zwischen Fluss und Felswand kein Platz für eine Straße war. Trajans Architekt Apollodor von Damaskus ließ daher an dieser Stelle die Straße über einseitig horizontal im Fels befestigte Balken (eine balkonartige Konstruktion) führen. Der Straßenbau ist auch auf der Trajansäule in Rom dargestellt. Die Inschrift auf der Tabula Traiana lautet:

Imp(erator) Caesar divi Nervae f(ilius)

Nerva Traianus Aug(ustus) Germ(anicus)

pontif(ex) maximus trib(unicia) pot(estate) IIII

p(ater) p(atriae) co(n)s(ul) III

montibus excisi(s) anco(ni)bus

sublatis via(m) fecit

[Der Sohn des göttlichen Nerva und regierender Kaiser, Nerva Traianus Augustus Germanicus, Pontifex Maximus, zum vierten Male Inhaber der tribunizischen Gewalt, Vater des Vaterlandes und Konsul, hat Gebirge und Strom überwunden und diese Straße gebaut.]

 

GERARDO DE SAGREDO

 

Der Benediktinermönch Gerhard von Sagrado (977-1046) kam 1015 aus Venedig als Erzieher an den ungarischen königlichen Hof. Schon in frühester Jugend wurde Gerhard Lehrer der Stiftsschule seines Klosters in Venedig, später wurde er Abt des Benediktinerklosters San Giorgio in seiner Heimatstadt. Musik spielte bei den Benediktinern schon damals eine wichtige Rolle in der Erziehung. Heute noch gilt z.B. das Benediktinerkloster in Pannonhalma / Martinsberg (Ungarn) als Kultur- und Musikzentrum des südosteuropäischen Kulturraums. Im Jahre 1030 wurde Gerhard durch König Stephan von Ungarn zum ersten Bischof der Diözese Tschanad ernannt. Es kamen Priester aus Frankreich, Deutschland, Italien, Böhmen und Polen ins Banat und trugen dazu bei, den christlichen Glauben zu verbreiten. Es wurden Kirchen errichtet und Schulen, in denen die Schüler lesen, schreiben und singen lernten.

Die Gesänge der Kirche bildeten den sichersten Weg zum Christentum. Die Bevölkerung der Tschanader Diözese, also des Banats, war meist dako-romanischen, slawischen oder illyrischen Ursprungs; oft versuchten heidnische Stämme, den alten Götterkult wieder zu beleben. Es wurden mehrmals die mit Müh und Not aufgebauten Kirchen niedergerissen, Priester wurden vertrieben. So starb auch Bischof Gerhard 1046 den Märtyrertod; der Berg bei Ofen, von dem er hinabgestürzt wurde, heißt heute Gerhardsberg (Gellértberg). Hier baute man ihm zu Ehren 1904 ein imposantes Denkmal, das von jedem Punkt der Stadt Budapest aus zu sehen ist.

Die Erziehung und Schulung der Schüler wurde zu Beginn des 11. Jh. nur von der Kirche unternommen: Lesen (lectura) und Gesang (cantus) standen meist auf dem Stundenplan. Bischof Gerhard brachte Magister Walther ins Banat, dieser kam vermutlich aus deutscher Gegend und befasste sich mit etwa 30 Zöglingen, die er in Sprache und Musik unterrichtet hat. Er war zugleich Kantor und Lehrer.

In der Gerhards-Legende ("Vita major") heißt es, daß Magister Walther den Bischof bat, ihn entweder als Kantor oder als Lektor einzustellen und nicht beides: "Der großen Menge kann ich meinem zweifachen Amte - als Kantor und Lektor - nicht entsprechenden Unterricht erteilen, sende noch einen Magister, entweder einen Kantor oder einen Lektor." Bischof Gerhard sandte den Mönch Maurus zu König Stephan nach Stuhlweißenburg, um noch einen Magister zu verlangen. Der Hilfslehrer Heinrich folgte dem Ruf des Maurus, nahm seine Bücher und kam mit in die Tschanader Diözese. Magister Walther hatte von dann an nur mehr den Gesangsunterricht zu versehen.

Die "musikalischen Regeln" wurden an Hand praktischer Übungen gelehrt, die Musik gehörte zu den "septem artes liberales", also zu den sieben freien Künsten. Der Kirchengesang wurde von den Benediktinern sehr gepflegt, die Domkapitulare sangen in Tschanad auch regelmäßig im Stundengebet. Magister Walther dürfte demnach ein ausgebildeter Musiker gewesen sein. Der Musikunterricht war aus den Domschulen nicht wegzudenken.

Die VITA MAJOR der Gerhards-Legende berichtet über eine Begebenheit, die sich auf der Reise von Bischof Gerhard und des Magisters Walther auf dem Weg zu König Stephan nach Stuhlweißenburg abgespielt hat. Der Bischof und sein Begleiter kehrten in ein Gehöft in der Puszta ein; in der Nacht wurden sie durch das Rattern einer Handmühle und den Gesang eines Mädchens geweckt. Der Bischof wandte sich an seinen Begleiter und fragte scherzhaft: „Hörst du diese ungarische Symphonie?“ [sinfonia hungarorum] Der Gesang wurde lauter und der Bischof sagte: „Erkläre mir, Walther, was für eine Art des Gesanges das ist.“ Walther antwortete, wahrscheinlich ebenfalls mit leiser Ironie: „Das ist nur so eine Art des Singens.“

Es ist anzunehmen, dass durch den heidnischen Aufstand im Jahre 1061 viele Kirchen und Pfarrschulen der Tschanader Diözese vernichtet wurden; es dauerte viele Jahre, bis es den Christen wieder gelang, ihre Kirchenmusik zu pflegen.

Der italienische Abt und ungarische Bischof Gerard de Sagredo wurde bereits im Jahre 1083 heiliggesprochen. Dadurch gehörte sein Name auch in die Missale der ungarischen Messbücher. Mit der Zeit entstanden auch ungarische und deutsche Lieder zu Ehre dieses Heiligen (Gerhardslieder), die Kirchen katholischen Kirchen in den Banater Orten Werschetz und Tschanad wurden diesem Heiligen geweiht, Fresken und Basoreliefs über sein Wirken zieren viele Gotteshäuser, so auch das Relief in der Ungarischen Kapelle des Petersdoms in Rom.

Im Jahre 1901 reiste der damalige Tschanader Bischof Dr. Alexander von Dessewffy von Temeswar nach Venedig, um Reliquien des Heiligen Gerhard für seine Domkirche abzuholen. Anlässlich dieser Feierlichkeit in Venedig komponierte Francisco Torcellan seine MISSA SANCI GERARDI für 3 Männerstimmen und Orgel. Es ist ein kunstvoll geschriebenes sakrales Musikwerk, das im Sinne des Cäcilianismus entstanden ist. Leider konnten bisher keinerlei Informationen über diesen Komponisten gefunden werden. Der originale Titel lautet:

PERILLUSTRI AC REVERENDISSIMO DOMINO

D.no ALEXANDRO DESSEWFFY DE CSERNEK ET TARKEO

EPISCOPO CSANADIENSI

QUOD INTER ALIA

SANCTI GERARDI SAGREDO P. V. EPISCOPI MARTYRIS

OLIM ANTECESSORIS SUI

SACRIS OSSIBUS CONDENDIS

PRETIOSIOREM URNAM DONAVERIT

PAROCHUS D. ALOYSIUS CERUTTI MURANIENSIS

GRATIAS REFERT AMPLISSIMAS

MAIORUMQUE IMPOS

SACRUM HUNC MUSICAE ARTIS FLOSCULUM

EJUS NOMINE EXORNANDUM

PIE JUCUNDE REVERENTER

D.D.D.

MURIANI VII KAL. OCT. MCMI

[Dem illustren und hochwürdigsten Herrn Alexander Dessewffy de Csernek et Tarkeo, Tschanader Bischof, der unter anderen, den Heiligen Gerard Sagredo, Märtyrerbischof, als Vorgänger hatte, übergibt in einer Urne die heiligen Gebeine Pfarrer Herr Aloysius Cerutti von Murano, zur weiteren und größeren Verehrung und legt die durch seinen heiligen Namen ausgeschmückte Musikkunst ehrfurchtsvoll zu seinen Füßen. Murano, den 7. Oktober 1901]

Diese Reise wurde auch bildlich festgehalten: dieses großformatige Gemälde mit mehreren Bischöfen, u.a. auch Bischof Dessewffy, Geistlichen und vielen Zuschauern vor der Basilica dei Santi Maria e Donato, ziert heute einen wichtigen Empfangsraum des Temeswarer bischöflichen Ordinariats.

Im Jahre 1946 komponierte Hans Weisz, damaliger Kantor der Salvatorianerkirche der Temeswarer Elisabethstadt das Gerhardslied Sankt Gerhard, frommer Gottesmann. Es wurde am 24. September 1946 in der Temeswarer Diözese der 900. Todestag von Bischof Gerhard begangen, ein Gedenktag, der in der damaligen Nachkriegszeit, geprägt von Deportationen und Verfolgung der Kirche durch das neue stalinistische Regime Rumäniens, nicht gefeiert werden durfte. Diese Lied wurde von Paul Wittmann harmonsiert und bearbeitet wurde wird auch heute noch am Festtag des heiligen Gerhard, dem 24. September, gesungen. Weiss und Wittmann wurden für ihr kirchenmusikalisches Wirken im Jahre 1972 von Papst Paul VI mit dem Orden „Pro Ecclesia et Pontifice“ ausgezeichnet. Eine Feier anlässlich der Verleihung dieser Auszeichnung durfte damals aus politischen Gründen nicht stattfinden.

Ganz anders wurde in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg des Öfteren der heilige Gerhard auch im musikalischen Umfeld gewürdigt. Als 1903 in Temeswar das große nationale Sängerfest Ungarns stattgefunden hat, wurden seitens Temeswarer Institutionen einige Preise gestiftet. Alexander von Dessewffy, Diözesanbischof der damals noch ungeteilten Tschanader Diözese, stiftete dafür eine „St. Gerhardus-Statuette in Silber“. Leider konnte bis heute kein Abbild dieser Plastik entdeckt werden.

 

GIUSEPPE GEBLER IN PIZZIGHETTONE

 

Giuseppe (Josef) Gelber, ein Kadett des Temeswarer Infanterieregiments Graf St. Julien, komponierte am 25. Mai 1835 im italienischen Pizzighettone ein Quintetto für Flöte, Violine, Viola, Fagott und Gitarre, das am 31. März 2007 in der Pfarrkirche San Bassiano dieses Ortes aufgeführt wurde. Der Historiker Gianfranco Gambarelli entdeckte dieses Werk in einem Stapel von Manuskripten und Maestro Marco Molaschi hat die Aufführung geleitet.

Die italienische Tageszeitung La Provincia brachte die Nachricht von der Entdeckung dieses Autographs und gleichzeitig wurden in dem Artikel Daten über das Banat, Temeswar und die Banater Schwaben dem Leser näher gebracht.

Mit der Person des Josef Gebler und den anderen 5.628 Angehörigen des Regiments beschäftigen sich seit längerer Zeit Anton Krämer (Ingelheim) und Dave Dreyer (San Francisco, USA), die im Rahmen des Arbeitskreises donauschwäbischer Familienforschung tätig sind. Damit kommt eine italienische Stadt in den Blickpunkt, die in der Geschichte, ähnlich wie Kufstein (Österreich) oder Zara / Zadar (Kroatien), eine tragische Rolle gespielt hat. In dieser Stadt befindet sich nämlich eine Festung, in der im 19. Jahrhundert auch viele Banater zu mehrjähriger Haft und schwerer Schanzarbeit verurteilt waren. Gewöhnlich befanden sich drei Bataillone des Temeswarer Regiments „in der Linie“, also irgendwo im Krieg und nur eines in der Kaserne. Den Aussagen von Anton Krämer nach, kam unser Kadett Josef (Giuseppe) Gebler am 4. April 1812 zur Welt, wurde 1831 Soldat und 1833 zum Korporal befördert. Auf dem italienischen Manuskript vom Jahre 1835 wird er als „Cadetto dal Regimento Conte St. Julien No. 61“ bezeichnet.

Interessant ist auch die Tatsache, dass der Vater von Josef Gebler, Johann Gebler, im Jahre 1810 Taufpate von Carl Michael Patek war, Sohn des Temeswarer Dommusikers Franz Patek, wie es aus dem Taufmatrikel der Temeswarer Innenstadt zu entnehmen ist. Also bestand bereits eine musikalische Ader in der Familie Gebler.

Es ist bekannt, dass beide Temeswarer Hausregimenter gute Musikkapellen hatten, deren Kapellmeister in die Stadtgeschichte eingegangen sind. Der berühmteste war wohl Wenzel Josef Heller, der, wie viele andere Musiker, aus Böhmen stammte. Diese Kapellen gaben sowohl Platzkonzerte, spielten bei Paraden auf und konzertierten gemeinsam mit dem Temeswarer Philharmonischen Verein bei symphonischen Konzerten. Die Dirigenten waren meist auch als Komponisten tätig.

Es wäre nun interessant zu wissen, was dieser komponierende Kadett noch so alles geschrieben hat, ob er vielleicht in Pizzighettone geblieben, oder nach Temeswar zurückgekehrt ist. In der Banater Musikgeschichte ist jedenfalls sein Name nicht bekannt. Der italienische Historiker Gianfranco Gambarelli sagte der Zeitung La Provincia, dass in der Zeit der Entstehung dieser Komposition, also um 1835, diese Region, die sich damals unter österreichischer Okkupation befand, einen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung erlebt hat. Das damalige gute Klima von Pizzighettone soll seinen Aussagen nach die Inspiration Geblers zu dieser Komposition beflügelt haben. Das 8 Minuten dauernde Stück (Adagio, Allegro, Allegro moderato, Presto, Polonese) Giuseppe Geblers wurde inzwischen im Verlag EDITION MUSIK SÜDOST, München, verlegt.

LUCA DELLA ROBBIAS „CANTORIA“

 

Graf Nako wurde in der Krypta der Katholischen Kirche der Stadt Großsanktnikolaus beigesetzt. Im dem Raum, in dem sich sein Sarkophag befindet, befindet sich eine Kopie des Werkes „Cantoria“ [Kantorei, Singende Jünglinge] des bedeutenden Bildhauers der Toscanischen Frührenaissance Luca della Robbia (1400-1482). Diese Werk entstand 1438 für die Ornamentierung des Sängerbalkons einer Kirche in Florenz und wurde als Illustration des 150. Psalmes „Laudate Dominum“ geschaffen. Im ehemaligen Schloss des Grafen Nako ist heute die Bartók-Gedenkstätte beheimatet, der in Großsanktnikolaus 1881 geboren wurde.

 

LORENZO PEROSI UND DESIDERIUS JAROSY

 

Im Jahre 1912 veröffentlichte der damalige Temeswarer Domkapellmeister Desiderius Járosy sein Buch „Lorenzo Perosi és a Krisztus szenvedése“ [Lorenzo Perosi und sein Oratorium Das Leiden Christi]. Es handelt sich dabei um eine esthätische Abhandlung über diese Werk, das im Jahre 1897 unter dem Titel La Passione di Cristo entstanden ist und über dessen „neopalestrinensischen Stil“. Im Jahre 1900 schrieb Perosi seine symphonische Dichtung Mosé (Moses), die im Jahre 1901 unter Arturo Toscanini in Milano uraufgeführt wurde.

Der Verfasser, Lorenzo Perosi, kam am 20.12.1872 in Tortona zur Welt und starb 1956 in Rom. Er studierte Kirchenmusik in Milano und Regensburg (u.a. bei Franz Xaver Haberl), wurde Leiter der Kirchenmusik vei San Marco in Venedig (1895-1898) und bis 1915 Leiter der Sixtinischen Kapelle in Rom. 1930 wurde Perosi Mitglied der Italienischen Akademie und Ehrenpräsident der Päpstlichen Musikhochschule. Er hinterließ über 120 Kirchenmusikwerke, darunter auch das oben genannte Oratorium. Desiderius Járosy war mit Lorenzo Perosi eng befreundet und setzte sich für die die Aufführung von zeitgenössischer Kirchenmusik in der Temeswarer Domkirche ein.

Desiderius Járosy tat viel um der neuen Musik seiner Zeit den Weg zu ebnen. So führte er auch Werke seines Zeitgenossen Lorenzo Perosi im Temeswarer Dom auf: das TE DEUM und das große Oratorium Das Leiden Christi.

Mitwirkende dieses bedeutenden Konzertes waren: Gáthy Kálmán (Bariton) als Christus (vom Temeswarer Franz-Josef-Theater), der erste Evangelist war Otto Dittrich (Bariton), der zweite Evangelist Gustav Gröger (Bass), dann noch Polgár István (Tenor), der von Járosy gegründete Oratorienchor und ein Orchester (vermutlich verstärkt durch die Bläser der 29. Regimentsmusik).

 

Am 20. März 1920 erscheint in der Zeitung Der Morgen. Temeswarer Neue Post ein wichtiger Artikel für die kirchenmusikalische Entwicklung dieser bedeutenden Kulturmetropole:

 

Gründung einer Oratoriengesellschaft in Temesvár.

Das Musikleben unserer Stadt wird in allernächster Zukunft um eine musikalische Körperschaft reicher, die sich die Pflege großzügiger Musikwerke (Oratorien etc.) zur Aufgabe macht. Den ersten Schritt hiezu wird die demnächst stattfindende Aufführung des Perosi-Oratoriums bieten, welches ein aus 70 Mitglieder bestehendes Ensemble zum Vortrage bringen wird. Die neue Körperschaft soll eine Schwesterinstitution des zu gründenden Vereins Temesvárer Musikfreunde werden.

 

Am 26. März 1920 erschien in der gleichen Zeitung der Bericht über das bereits stattgefundene Domkonzert und auch über den neu gegründeten Oratorienchor, der von Desiderius Járosy ins Leben gerufen und geleitet wurde:

 

Don Lorenzo Perosi´s Oratorium "Das Leiden Christi". Aufgeführt von der "Oratorium-Gesellschaft" unter Leitung des Musikakademie-Professors Desider Járosy.

Die Domkirche war gestern neuerlich der Schauplatz eines musikkünstlerischen Ereignisses: das mächtige Werk Perosis, das Oratorium "Das Leiden Christi" wurde einem großen kunststimmigen Publikum aufgeführt, und es sei gleich hier festgenagelt, mit einem mächtigen, schönen Erfolg. Professor Járosy absolvierte wirklich eine Riesenarbeit. Sein musikalisches Programm, die kirchliche Musik, die Orgel und jetzt die schwere, lange ganz vernachlässigte Oratorienmusik bekannt, volkstümlich und für immer größere Schichten zugänglich zu machen, gewinnt immer mehr an Realität, sein idealer Plan, ein verstehendes Publikum auch diesen Musikarten zu erziehen, ein Publikum das für die Musik selbst einige Stunden zur eigenen Befriedigung zu opfern mit Vergnügung bereit ist und alles in allem das Musikleben in unserer Stadt auf eine Höhe zu bringen, wie sie in keiner Provinzstadt zu finden ist, scheint kein Plan, kein Sehnen mehr zu sein, seine unermüdliche, begeisterte, uneigennützige jahrzehntelange Arbeit zeitigt schon ihre Früchte; Járosy ist bereits ein Begriff in unserem Musikleben, seine Veranstaltungen stets ein musikalisches Ereignis von reellem Wert und Inhalt.

Das Oratorium war lange Zeit hindurch eine vernachlässigte Musik-Kunstart bis es der weltbekannte Chormeister Don Lorenzo Perosi neubelebte und es, man könnte fast sagen, volkstümlich machte. Die anfänglichen Oratorien des Animuccia, dann Palestrina, waren moralisierende schlichte Gesänge (laudi) und versuchten abstrakte Begriffe zu personifizieren, entwickelten sich dann mit Anwendung des für dramatische Aufführungen geeigneten recitativen Gesanges und beschränkter Instrumentalbegleitung zu scenischen Aufführungen, die dann allmählich wegbleiben, bis das Oratorium mit den von den Italienern angefangenen Chören durch Händel als ein ganz neuer Kunstzweig seine Vollendung und seine seitdem typische Gestalt erhält.

Mit Perosi zog das Oratorium wieder in die Musikwelt, ja sogar in den Konzertsaal ein, als sein erstes Oratorium "Das Leiden Christi" (Passion nach Marcus) im Jahre 1897 zu Milano während des kirchenmusikalischen Kongresses unter Jubel und Begeisterung zur Aufführung gelangte. Sein Element ist der kirchliche Styl, in der Polyphonie lehnt er sich Bach an, in der dramatischen Kraft Wagner, keinesfalls aber auf Kosten seiner Originalität. Im "Leiden Christi" zieht sich das dramatische Element wie ein leuchtender Faden durch, die ergreifenden Leidenstöne, der tiefe Kummer kommen im Aufbau mächtig und ergreifend zum Ausdruck. Das vokalische Element herrscht vor, ist jedoch samt dem Orchestralen dem Texte untergeordnet. Die Melodik, seiner Tonfarbe vollen italienischen Seele entsprechend, sprudelt in den Solis wiederholt hervor.

Ein mächtig, ergreifendes Werk, in der Einstudierung des Prof. Járosy stylvoll zum Ausdrucke gebracht. Der Chor war einwandfrei, die Präzisität hat sogar im Orchestralen trotz der Dilletanten-Besetzung, nur wenig zu leiden gehabt. Herr Otto Dittrich als Christus war mächtig in Stimme und Styl. Er sang mit der Sicherheit eines Opernsängers und mit tiefem Verständnis dieses religiösen Themas. Auch die anderen Solisten Herr Karl Reiter, Gustav Gröger und Dr. Stefan Polgár boten ihr Bestes. Es wäre keine vergebliche Mühe, dem Zwecke jedenfalls gedient, Perosis Oratorium wiederholend, dasselbe in einem Konzertsaal zur Aufführung zu bringen. (Rj.)

 

Jarosy Nachfolger als Temeswarer Domkapellmeister war Desiderius Braun (1894-1940). In seinem in ungarischer Sprache verfassten Buch zur Banater Musikgeschichte Bánsági Rapszodia (um 1939) widmete er einige Abschnitte auch den Beziehungen zur italienischen Musik. Aus dem Jahre 1925 ist uns ein Foto erhalten geblieben, auf dem wir Desiderius Braun mit einem Kollegen vor San Marco in Venedig sehen. Damals wohnte er einem Kirchenmusikkongress in dieser Stadt bei und sammelte neue Ideen für sein Wirken an der Temeswarer Domkirche.

 

Das Schicksal der Cavaille-Coll-Orgel für Rom

 

Leopold Wegenstein erbaute zum Beginn des 20. Jahrhunderts zwei große Orgeln für die Wallfahrtskirche und Basilica zu Maria Radna und für den Temeswarer Dom. Die Pläne stammen von Cavaille-Coll und waren ursprünglich für St. Peter in Rom bestimmt. (siehe Artikel über der Orgel zu Maria Radna)

 

FRANZISKANISCHE MUSIK AUS ITALIEN

Eine besondere Beziehung zu Italien pflegten die Franziskaner- und Minoritenklöster des Banats. So konnten in den Minoritenkirchen zu Lugosch (rumänisches Banat) und Pantschowa (serbisches Banat) einige Werke verschiedener italienischer Komponisten des 19. Jahrhunderts entdeckt werden:

Allessandro Bordoni: Tota pulchra es, Maria

Marco Enrico Bossi (1861-1925): Tota pulchra es, Maria und mehrere Messen

Luigi Bordése (1815 Neapel – 1886): Tota pulchra es, Maria und mehrere Messen

Luigi Cherubini (1760-1842): Requiem, u.a.

Bei vielen Kirchenkonzerten, die in der Lugoscher Minoritenkirche stattfanden, sang auch der später berühmt gewordene Tenor Traian Grosavescu (1895-1927) mit. Dieser wurde in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg als der Nachfolger Carusos in vielen europäischen Opernhäuser gefeiert und hatte freundschaftliche Beziehungen zu vielen italienischen Sängern, Dirigenten und Komponisten, wie z.B. zu Arturo Toscanini (Dirigent), Pietro Mascagni (Komponist), Egisto Tango (Operndirektor), Domenico Viglione Borghese, Carlo Galeffi, Allessandro Bonci, Mattia Battistini (Sänger).

 

HEUTE

 

Mit der Wende von 1989 und dem Sturz der kommunistischen Ceausescu-Diktatur begannen sich immer mehr Investoren aus Italien im Banat niederzulassen. Man spricht heute von etwa 15.000 Italienern in Temeswar, ausgenommen die anderen Städe und Industriezentren des Banats. Diese Entwicklung führte dazu, dass man in Diplomatenkreisen bereits Temeswar als „Little Italy“ bezeichnet. Zu erwähnen sind besonders die Investitionen in die Musikkultur der Stadt:

  • die Renovierung der großen Wegenstein-Orgel der Temeswarer Millenniusmkirche wurde von einem italienischen Sponsor finanziert;
  • Hier finden regelmäßig Konzerte statt, die von der italienischen Gemeinde Temeswars organisiert werden;
  • Auch die Zusammenarbeit mit Musikinstitutionen hat in den letzten Jahren zugenommen;
  • In der vom ehemaligen italienischen Geschäftsmann (mit rumänischen Wurzeln) Iosif Constantin Dragan errichteten Europa-Universität in der Banater Musikstadt Lugosch finden regelmäßig Konzerte des berühmten rumänischen Ion-Vidu-Chores statt, der auch schon öfter in Italien erfolgreich aufgetreten ist.

Anlässlich eines festlichen Konzertes, das um 2002 in der Temeswarer Domkirche stattgefunden hat, wurde der Dirigentenstab Arturo Toscaninis, der bis zum Tode des Banater Dirigenten Nicolae Boboc in dessen Besitz sich befand, an den jungen Dirigenten Gheorghe Costin übergeben. Somit lebt eine Episode der italienisch-Banater Kulturbeziehungen in Temeswar weiter.

Durch die neuen wirtschaftlichen Entwicklungen im mitteleuropäischen Raum nach 1990 und durch die wirtschaftlichen Vor- und Nachteile die dadurch entstanden sind, leben heute auch viele tausende Arbeitskräfte aus dem Banat und Rumänien heute in Italien. Dies erforderte in den letzten Jahren sogar den Bau von Kirchen für diese Menschen und ihre Familien, in denen Kirchengesänge aus dem Südosten Europas nun erklingen. Somit hat sich wieder mal ein kultureller Lebens- und Kulturkreis geschlossen.

 

Vortrag gehalten am 4.-5.11.2010 im Rahmen des Internationalen Musikwissenschaftlichen Kongresses an dem Istituto Pontificale di Musica Sacra, Rom

 

Copyright © Dr. Franz Metz, München 2011

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