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E D I T I O N   M U S I K   S Ü D O S T

Georg Müller

(1803-1863)

von Dr. Franz Metz

 

Sein Leben begann 1803 in Ravelsbach (Österreich) und endete 1863 in Linz. Doch dazwischen wirkte er als Musiker am Dom zu Großwardein, wo auch Johann Michael Haydn und Carl Ditters (von Dittersdorf) einige Jahrzehnte davor tätig waren, dann als Organist in Orawitza, an der St. Anna-Kirche in Weisskirchen und schließlich als Musiklehrer und Zeitgenosse Anton Bruckners in Linz. Gemeinsam mit ihm bewarb er sich 1856 um die Linzer Domorganistenstelle. Wir kennen nur 5 Kirchenmusikwerke von Georg Müller, die erst vor wenigen Jahren in Weisskirchen entdeckt werden konnten. Sein Sohn Eduard August Molnar war als Kapellmeister der Altenburger Hofkapelle tätig und nannte sich nicht mehr Müller sondern Molnar – eigentlich der Name Müller in ungarischer Sprache.

Und trotzdem zahlt es sich aus, die Spuren dieses Musikers im historischen Österreich-Ungarn zu  erfolgen. Unser Horizont an Erkenntnissen in Geschichte und Musikkultur hat nur zu gewinnen.

 

Musikus der Großwardeiner Dommusik (1832-1833)

 

Über die biographischen Anfänge Georg Müllers fehlen uns jedwelche Zeugnisse. Wir wissen nur, dass er einer Bauernfamilie entstammt, hieß Georg Gustav Müller und war musikalisch hochbegabt. Wo er das Orgelspiel und das Komponieren erlernte ist ebenfalls unbekannt. Das erste Zeugnis seiner musikalischen Tätigkeit stammt aus Großwardein. Hier wirkte davor u.a. auch Johann Michael Haydn.

Um 1827 starb Domkapellmeister David Kirr und die Stelle wurde vom Domkapitel am 24. Dezember 1827 ausgeschrieben. Am 30. April 1829 schreibt das Domkapitel die Bedingungen für den Stellenwettbewerb aus. Das Interesse dafür war aber keinesfalls groß. Einer der Anwärter war Georg Müller, Mitglied des Wiener Musikvereins, der sich am 22. Oktober 1832 in Großwardein um diese Stelle schriftlich beworben hat. Aus diesem Bewerbungsschreiben ist ersichtlich, dass Georg Müller davor als Kapellmeister des Regiments Graf Waldmoden tätig war und er nach eigenem Willen „entwaffnet“ (entlassen) wurde. Er kannte daher fast sämtliche Instrumente des Orchesters und konnte deshalb sowohl Streich- als auch Blasinstrumente bedienen: „…Da ich mich fähig fühle was immer für ein fehlendes Individuum zu ersetzen…“. In seinen Bewerbungsunterlagen für die Linzer Domorganistenstelle (siehe unten) nennt er die Zeit „vom 1. Dezember 1832 bis 23. März 1833“ als Musikus in Großwardein.

Also handelt es sich nur um 4 Monate. Damals war die blühende Zeit der Großwardeiner Dommusik wie zu Zeiten Johann Michael Haydns und Carl Ditters (von Dittersdorfs) bereits verblasst. Um diese Zeit war Franciscus V. Lajcsák Bischof von Großwardein (1827–1842).

 

Organist und Kantor Orawitza (1833-1840)

 

Die Visitationsprotokolle des Csanader Bischofs Josephus Lonovics de Krivina (1793-1867) aus dem Jahre 1836 bilden für die Forschungen im Bereiche der Kirchengeschichte eine wichtige Grundlage. Auch für die Kirchenmusikgeschichtsforschung Südosteuropas und des Banats sind sie unerlässlich. Im Protokoll zur Visitation der Pfarrei Orawitza im Banater Bergland erfahren wir im Kapitel „Cantor et Organoedus“ einige Daten über den damaligen Organisten und Kantor Georg Müller. Dieser stamme aus Ravelsbach (Österreich), sei 33 Jahre alt, Mitglied der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, beherrsche zwar die deutsche und französische Sprache aber weniger die ungarische, war davor als Musiker an der Großwardeiner Domkirche tätig, spielt gut die Orgel und gibt privat Instrumental- und Gesangsunterricht.

Die Kirchenmusik an der katholischen Pfarrkirche von Orawitza befand sich damals auf der Höchststufe ihrer Entwicklung. Dies können wir anhand des damaligen Repertoires feststellen, der Aufzeichnungen in den kirchlichen Protokollbüchern wie auch laut dem Inventarium, das heute noch untersucht werden kann. So finden wir im Visitationsprotokoll von Bischof Lonovics vom 22. Mai 1836 im Kapitel „Inventarium s. suppelectilis ad Ecclesiam Parochialem Oraviczensem spectantis“ eine Auflistung der damaligen Noten und Instrumenten. Das musikalische Inventarium dieser südbanater Pfarrkirche unterscheidet sich kaum von der jenem einer anderen damaligen österreich-ungarischen Kleinstadt. Werke großer Meister wie Mozart, Joseph und Michael Haydn, Albrechtsberger, Cherubini und Diabelli sind genaus so vorhanden wie jene von Stadler, Breindl, Schiedermayer, Rieder, Eybler, Wotzet, Strasser, Hrdina oder Raymann. Außer einer Orgel mit 17 Registern, erbaut von Franz Anton Wälter, gab es zahlreiche Streich- und Blasinstrumente auf der Orgelempore.

 

Organist und Kantor in Weisskirchen (1840-1850)

 

Den eigenen Angaben nach, wirkte Georg Müller in der Zeit vom 1. Mai 1840 bis zum 10. September 1850 als Organist an der St. Annakirche in Weisskirchen. Weisskirchen befindet sich knapp 30 km westlich von Orawitza entfernt. Beide Orte liegen im Banater Bergland, das Banat gehörte damals zu Österreich-Ungarn. Es ist anzunehmen, dass Müller 1839 von dem Tod des Weisskirchner Organisten Franz Neukam (1789-1839) erfahren hat und sich für diese Stelle beworben hat. Das musikalische Niveau war ähnlich wie in Orawitza. Auch hier konnte man auf ein reichhaltiges kirchenmusikalisches Inventar zurückgreifen. Ein großer Teil dieses Notenbestandes ist bis heute erhalten geblieben und zählt über 400 Musikwerke.

Im Protokollbuch des Magistrats Weisskirchen wurde festgehalten, dass in der Sitzung vom 18. Oktober 1839 die Bewerbung Georg Müllers für die kürzlich frei gewordene Kirchenmusikerstelle besprochen wurde. Es wurde auch vermerkt, dass er in Orawitza als Organist tätig sei: „Georg Müller, Organist zu Oravitza / bittet womit ihm der in der Communität erledigte Organistendienst verliehen werden wolle“. Laut den Unterlagen der katholischen Kirchengemeinde von Weisskirchen, muss er bereits in diesem Jahr in diesen Ort umgesiedelt sein, da am 15. Januar 1841 die Beisetzung seines vierjährigen Sohnes Victor im Friedhof von Weisskirchen erfolgte (gestorben am 14. Januar 1841). Wie nahe sich Leid und Freud im Leben abwechseln, beweist die Geburt seines Sohnes Eduard Gustav Müller am 17. August 1841 (getauft am 18. August 1841). Im Geburtenregister der Pfarrei sind die Namen der beiden Eltern vermerkt: „Georgius Müller, Organista et Cantor, Amaliae Olleschak“. Aus den Protokollbüchern des Magistrats Weisskirchen erfahren wir auch, dass in der Sitzung vom 29. Oktober 1841 Georg Müllers Gesuch um die Erhöhung des Quartiergeldes. In einer weiteren Sitzung des Magistrats vom 27. Januar 1843 wurde die Bewilligung seines Gesuches besprochen, ihm zu seiner Förderung für den Musikunterricht des Sohnes von Oberleutnant Gimbosch 40 Kr. Zu gewähren.

In Weisskirchen konnten fünf Kompositionen Georg Müllers entdeckt werden:

- Zwei Tantum ergo, für 4 Singstimmen, 2 Violinen, 2 C-Clarinetten, 2 Corni, 2 Trombi, Tympani, Violoncello, Contrabasso, Trombon, Fagotto et Organo, componirt von G. Müller, Organist an der r. k. Pfarrkirche in Weisskirchen;

- Offertorio [Regina coeli] für 4 Singstimmen /Canon/, 2 Violinen, 1 Flauto, 2 Clarinetten, 2 Corni, 2 Trompetten, Pauken und Violonzell-Solo und Orgel / von Müller;

- Offertorium am Frohnleichnamsfeste [Jesu nostra redemptio] für Tenor-Solo, 2 Violinen, Viola, Basso et Organo, von G. Müller;

- Duetto [Tu es spes], für Soprano-, Basso-Solo, Chor, 2 Violinen, 2 Clarinetti, 2 Corni, 2 Trombi, Organo.

Hier in Weisskirchen heiratete er Amalie Olaczek, die 1818 in Podol (Ungarn) geboren wurde und am 18. April 1901 in Brandenburg an der Havel gestorben ist. Im Jahre 1841 kam ihr Sohn Eduard Gustav Müller in Weisskirchen (damals ungarisch Fehértemplom) zur Welt, der als Kapellmeister in am Theater in Altenburg wirkte und hier 1912 starb.

Die Familie Müller soll noch in Weisskirchen ihren Namen in Molnar (ungarisch, bedeutet Müller) geändert haben. Darüber berichtet ein interessantes Dokument, das sich heute im Besitz der Nachfahren Georg Müllers in Süddeutschland befindet. Es handelt sich dabei um Berichte und Erzählungen über Georg Müller und dessen Familie, über ihre Auswanderung ins Banat, ihre Berufe und ihre musikalische Tätigkeit. Wir wissen nicht welches der Grund für den Wegzug Georg Müllers 1850 aus Weisskirchen gewesen sein muss. Die Organistenstelle an St. Anna konnte erst zwei Jahre später (1852) von Vincens Maschek besetzt werden.

 

Musiklehrer in Linz (1850-1863)

 

Aus der Zeit nach seiner Tätigkeit als Organist und Kirchenmusiker in Weisskirchen besitzen wir für einige Jahre keine zuverlässigen Quellen zur Biographie Georg Müllers. Erst im Januar 1856 finden wir seinen Namen in den Bewerbungsunterlagen für die Besetzung der Stelle des Domorganisten in Linz.

Ende des Jahres 1855 stirbt der Linzer Domorganist Wenzel Pranghofer und die frei gewordenen Stelle sollte recht bald wieder besetzt werden. Im Schreiben der Gemeinde-Vorstehung der Landeshauptstadt Linz an die Geistliche Vogtei der Stadtpfarrkirche, betreffend die Kompetenzprüfung zur definitiven Besetzung der Dom- und Stadtpfarrorganistenstelle vom 21. Januar 1856 finden wir die Namen der vier Bewerber: Georg Müller, Ludwig Paupie, Raimund Hain und Anton Bruckner. Es wird darin vermerkt, dass die Prüfung am 25. Januar 1856 in der Domkirche stattfinden soll.

Das Protokoll der Prüfung wurde gleich danach in der Sakristei der Linzer Domkirche erstellt. Darin wird Georg Müller als „Privat-Musiklehrer in Linz“ bezeichnet. Anton Bruckner war damals bereits provisorischer Domorganist, kannte gut die Domorgel und sein Spiel wurde hoch geschätzt. In diesem Protokoll finden wir folgenden Bericht über Georg Müller: „Georg Müller hat das ihm vorgelegte leichtere Thema in B. maj[ore] ganz einfach abgespielt, ohne irgend eine weitere contrapunctische Verarbeitung anzubinden; statt welcher er in die mechanische Abspielung eines eigenen Präludiums übergieng, das ohne Plan und Zusammenhang ganz gewöhnlicher und profaner Art, allen Mangel an höheren Studien des Contrapunctes und Technik zeigte. Derselbe hat sich bald darauf unbemerkt freiwillig entfernt, und der weiteren Prüfung über Choral-Begleitung gar nicht unterzogen.“

Einige biographische Daten Georg Müllers finden wir auch in einer Tabelle mit den Bewerbungsunterlagen aller vier Kandidaten, darunter seine bisherigen Dienste: „Großwardein als Musikus vom 1. Dezember 1832 bis 23. März 1833; Oravitza, als Organist; Weisskirchen in Ungarn vom 1. May 1840 bis 10. September 1850 als Organist.“

Die Kommission hat nach dieser Prüfung Anton Bruckner als zukünftigen Domorganisten vorgeschlagen. Über dessen Spiel lesen wir im Bericht: „Anton Bruckner hat das ihm vorgelegte, sehr schwierige Thema in einer strengen, kunstgerechten, vollständigen Fuge, so wie die ihm aufgelegte, schwierige Choral-Begleitung mit hervorragender Gewandheit und Vollendung ausgeführt, und seine bereits allgemein anerkannte Meisterschaft mit aller Auszeichnung fest erprobt. Derselbe wird demnach mit Rücksicht auf seine nachgewiesenen Fähigkeiten, und das Prüfungs-Protokoll vom 25. Jänner des Jahres als Dom- und Stadtpfarr-Organist vorgeschlagen.“

Diesem Berichten nach, kannte Georg Müller Anton Bruckner und schätzte auch dessen meisterhaftes Orgelspiel. Er war sich dessen bewusst, dass er keinesfalls mit ihm wetteifern kann und hat sich auch deshalb „unbemerkt freiwillig“ entfernt. Es ist anzunehmen, dass Müller in jener Zeit in einer anderen Linzer Kirche nebenbei als Organist gewirkt hat. Dafür fehlen uns aber Belege. Laut den Sterbematriken der Stadtpfarre Linz soll Musiklehrer Georg Müller am 15. Februar 1863 verstorben sein.

Franz Joseph Rudigier (1811-1884) war damals Bischof von Linz. Seine Inthronisation fand am 12. Juni 1853 im Alten Dom statt. Im April 1855 machte Rudigier seinen Entschluss kund, den heutigen Marien-Dom zu erbauen. Einige von Anton Bruckners Werke werden hier ihre Uraufführung erleben. Diesem Bischof widmete der aus dem Banat stammende bedeutende Schriftsteller Adam Müller-Guttenbrunn seinen Roman Es war einmal ein Bischof. Darin kommt auch der Name seines Domorganisten Anton Bruckner mehrmals vor. Obzwar es ein Roman ist, stellt dieses Werk mit all den zeitgenössischen Schilderungen ein wichtiges Dokument jener Zeit dar, in der auch Georg Müller gelebt hat.

 

Die Faszination einer Biographie

 

Bis vor wenigen Monaten schlummerten die 5 Kompositionen Georg Müllers im Südosteuropäischen Musikarchiv, München, vor sich hin. Hier gibt es noch viele Kompositionen und Autographe solcher unbekannter Komponisten, die sich irgendwann im Banat, in Siebenbürgen oder in Sathmar niedergelassen haben. Erst durch die Kontaktaufnahme und Anfrage der Nachfahren Georg Müllers, die heute im süddeutschen Raum leben, ist diese Lawine ins Rollen gekommen. Durch die Existenz eines alten Fotos von Georg Müller hat nun diese Musik auch ein Gesicht bekommen und durch die zwischendurch begonnenen und noch längst nicht abgeschlossenen Recherchen in Rumänien, Serbien, Österreich und Deutschland, konnten wertvolle Spuren von Klang- und Kulturgeschichte entdeckt und gesichert werden. In zwei Konzerten konnte bereits das Duetto Müllers im November 2012 bei der Kulturtagung der Landsmannschaft der Banater Schwaben in Sindelfingen und München anlässlich des Konzertes „300 Jahre Kirchenmusik der Donauschwaben“ aufgeführt werden. Auch die Nachkommen Georg Müllers aus Süddeutschland haben beiden Konzerten beigewohnt. Es war eine späte Ehrung des im Banat wirkenden Musikers Georg Müller – über 200 Jahre nach dessen Geburt.

 

Großwardein: Orgelempore der Kathedrale

Georg Müller: Offertorium (Regina Coeli)

Georg Müller: Sopranstimme (Regina Coeli)

Georg Müller: Organist an der römisch-katholischen Pfarrkirche in Weisskirchen

Georg Müller: Zwei Tantum ergo

Bischof Lonovics: Visitationprotokoll der Pfarreri Orawitza mit den Daten zu Georg Müller

Prüfungsbericht, Linz

Weisskirchen: Orgel der Katholischen Kirche

Taufurkunde des Sohnes Eduardus Gustavus vom 18.08.1841, Weisskirchen

Sterbeurkunde des Sohnes Victor, Januar 1841

Oktober 1839: Georg Müller aus Orawitza bewirbt sich um die Organistenstelle in Weisskirchen

Gesuch Müllers um die Erhöhung des Quartiergeldes

 

Copyright © Dr. Franz Metz, München 2012

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